Im ursprünglichen Mythos galt Ereshkigal als Ur-Gottheit der Weltschöpfung und als Göttin der Erde, als diese noch eine unbewohnte und brachliegende Wildnis war, die von Gärten aus Regenbögen umgeben war. Erst später wurde die Unterwelt ihr Reich und sie selbst zum Unterweltsaspekt.

Macht der Wiedergeburt

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Im ursprünglichen Mythos galt Ereshkigal als Ur-Gottheit der Weltschöpfung und als Göttin der Erde, als diese noch eine unbewohnte und brachliegende Wildnis war, die von Gärten aus Regenbögen umgeben war.

Erst später wurde die Unterwelt ihr Reich und sie selbst zum Unterweltsaspekt von Inanna bzw. Ischtar. Ereshkigal ist die oberste sumerische Schlangengöttin, die in der Unterwelt die zentrale Rolle als Göttin der Wiedergeburt einnimmt, ähnlich einer Schlange, die sich häutet und danach mythologisch als neu geboren gilt. Ihre Beinamen sind „Göttin der großen brachliegenden Orte,“ „Gebieterin über den Großen Ort“ und „Beherrscherin der großen Erde“.

Inanna und Ereshkigal

Ereshkigal ist die Schwester bzw. der dunkle Aspekt der Himmels-, Liebes- und Fruchtbarkeitsgöttin Inanna (bzw. Ischtar). Oft werden Inanna und Ereshkigal zusammen mit Nana als jungfräulicher Aspekt als Göttinnen-Triade erwähnt.

Ereshkigal demonstriert eindrucksvoll die Macht der Wiedergeburt und des ewigen Lebens. Dem mehr als 5000 Jahre alten bekannten sumerischen Inanna-Ereshkigal-Mythos zufolge, hatte sich die Göttin Inanna in den Hirten Dumuzi (babyl. Ischtar und Tammuz) verliebt. Das Glück endete, als Ereshkigal den Dumuzi in ihr dunkles Reich lockte. Kaum war das geschehen, da welkten die Blumen, das Vieh und die Menschen hörten mit der Liebe auf. Inanna wollte ihren Geliebten aus der Unterwelt holen.

In einer anderen Version des Mythos wird Inanna als stolze Göttin mit unbedingtem Herrschaftswillen geschildert. Sie wollte nicht nur im Himmel und auf Erden, sondern auch in der Unterwelt herrschen (man kann sagen, dass die erfolgreiche Strahle-Frau etwas größenwahnsinnig geworden ist). Zu diesem Zweck steigt sie in die Unterwelt hinab, um mit ihrer Schwester Ereshkigal, der Göttin der Unterwelt, zu kämpfen.

Die tiefsten, dunkelsten, wildesten und abgründigsten Wesensanteile

Aus welchem Grund Inanna auch immer den Gang in die Unterwelt antrat, sie musste dabei an jedem der sieben Unterwelttore einen Teil ihrer Kleidung, ihres Schmuckes oder ihrer Insignien zurücklassen. Als sie nackt am siebten Tor stand, warf sie sich auf Ereshkigal. Diese dachte aber nicht daran, sich der Inanna oder des Dumuzi zu erbarmen und schlug sie stattdessen mit sechzig Krankheiten. Damit erlischt auch (vorläufig) endgültig alle Fruchtbarkeit auf Erden. Inanna erkennt, dass sie gegen ihre Schwester bzw. gegen ihre tiefsten, dunkelsten, wildesten und abgründigsten Wesensanteile keine Chance hat.

Nachdem Inanna die Macht Ereshkigals anerkannt hat, wird sie von dieser getötet und – als verrottendes Stück Fleisch – auf einen Haken an der Wand gehängt. Nach drei Tagen gibt Ereshkigal ihre Schwester Inanna das Leben wieder zurück. Inanna konnte den Rückweg in das Reich der Lebenden antreten. Ereshkigal verlangte aber, dass jemand anders den Platz von Inanna einnehmen müsse.

Die Entscheidung, wer dies sein sollte, fiel Inanna anfänglich sehr schwer, weil sie bei ihrem Aufstieg aus der Unterwelt merkte, wie sehr ihre Kinder und Dienerinnen sie betrauerten. Schließlich kam sie zu ihrem eigenen Palast, in dem Dumuzi, ihr Mann, mit den Zeichen ihrer Macht geschmückt auf dem Thron saß. Er trauerte nicht und genoss offensichtlich seine Rolle als König.

Da warf Inanna den Blick des Todes auf ihn und befahl den Dämonen, ihn mit sich zu nehmen. Doch schon bald bemerkt die Göttin, dass sie ohne ihren Gatten die Welt nicht mehr befruchten konnte, die Ernten blieben aus, die Frauen gebärten nicht mehr, die Flüsse trockneten aus. Es wurde ein Kompromiss gefunden: Jeweils für ein halbes Jahr sollte Dumuzi durch seine Schwester Geshtinanna in der Unterwelt abgelöst werden, damit die Welt neu erblühen konnte.

Der unerbittliche Aspekt der großen Göttin

Dieser Mythos ist vielschichtig. Auf jeden Fall stellt Ereshkigal einen sehr unerbittlichen Aspekt der großen Göttin dar. Einer der offensichtlichsten Deutungen ist jene vom Wechsel der Jahreszeiten. Dumuzi verkörpert dabei die Vegetation, die im ständigen Wechsel des Vergehens (Herbst) und der Wiedergeburt (Frühling) von ihm bzw. seiner Schwester mythologisch repräsentiert wird.

Darüber hinaus vollzieht Ereshkigal gerade an der Lichtgestalt und Sonnengöttin einen unerbittlichen Initiationsritus. An Inanna wird auf großartige Weise der Weg zur Heilung, Integration und zum Wachstum der weiblichen Seele vollzogen. Immer, wenn Frauen ähnliches passiert, wenn ihnen ganz und gar der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn sie bis auf das letzte Hemd nackt ausgezogen werden, wenn da nichts mehr ist, das ihnen Halt gibt, ist die Kraft von Ereshkigal im Spiel.

Oft ist hier auch tatsächlich eine reale Frau (Mutter, Tochter, Schwester, Chefin, Kollegin) daran beteiligt. Wenn Frauen in diesem herausfordernden „Monster“ die Energie von Ereshkigal sehen und damit die große Chance, aus einem harten Initiationsprozess geläutert hervor zu gehen, dann wird vieles – wenn nicht unbedingt leichter – aber dennoch klarer.

Die Konfrontation mit der völligen Leere

Es geht um das Hinabsteigen in das eigene tiefste Innere, in die eigenen Abgründe, um die Aufgabe jeglichen Scheins (im Mythos symbolisiert durch das Ablegen der Kleider, des Schmucks und Insignien) und zuletzt um die Aufgabe der eigenen Identität, um die Konfrontation mit der völligen Leere und Sinnentleertheit und um ein völlig radikales Loslassen, um neu erschaffen zu werden. So werden auch tiefgehende schamanische Prozesse geschildert, aus denen SchamanInnen durch und durch neu zusammengesetzt, geläutert, erleuchtet hervorgehen.

Und auch – wie so oft – hat sich das Christentum dieses Themas angenommen, ja zu seiner zentralen Lehre gemacht: Auch Jesus verlangt – und praktiziert
e, soweit das überliefert ist – das Loslassen der eigenen Wünsche und Vorstellungen. Doch in seiner letzten Stunde bat er um Aufschub. Es musste so weit kommen, dass sein Prozess der Hingabe so radikal fortgeschritten war, dass er sagen konnte: Dein Wille geschehe! Er musste ans Kreuz geschlagen werden, um die letzte Hürde des Loslassens zu nehmen und damit zu zeigen, was Hingabe bedeutet.

Genauso wie Inanna 3000 Jahre zuvor ist Jesus nach drei Tagen wiedergeboren in das Leben zurück gekehrt. In Darstellungen wird Ereshkigal als nackte Göttin mit Augen aus Stein und schwarzen Haaren beschrieben. Manchmal trägt sie ein Löwenhaupt. Sie fährt in einem Boot über den Grenzfluss Chabur, der zwischen dem Reich der Lebenden und der Unterwelt fließt, um die am anderen Ufer niedergelegten Opfergaben einzusammeln. Ihr Palast, der im Erdinnern liegt, besteht aus Lapislazuli. Wie auch in anderen Weltsichten üblich, liegt das Reich der Ereshkigal unterhalb des Ur-Ozeans Apsu.

Grußbotschaften von Ereshkigal

Irgendwann kommen wir alle in Ereshkigals Reich. Irgendwann ist für alle das „große Loslassen“ von allem, was auf Erden und im Leben wichtig ist, angesagt. Die Göttin ist nicht das verschlingende Monster, sondern ein ganz normaler Aspekt, der zum Leben gehört. Ereshkigal schenkt die Gnade, dass Menschen sich auf das große endgültige Loslassen zu Lebzeiten vorbereiten können.

Gerade die Herausforderungen, die an Übergängen und Schwellen im Leben mit Verlust, Trauer, Schmerz und Leere verbunden sind, sind Grußbotschaften von Ereshkigal. Je mehr bei diesen Prüfungen gelernt und integriert wird, je bewusster Menschen durch diese Ereignisse werden und zu ihrer eigentlichen Essenz vordringen, umso leichter und unbeschwerter werden sie dereinst den Weg zur Großen Göttin Ereshkigal antreten.  

auch: Ereschkigal, Ereskigal, Ereškigal

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