Der Name dieser Göttin stammt von „arta“ = Bärin ab. Artio wurde speziell im geographischen Raum der heutigen Schweiz sehr verehrt. Sie gilt auch als Verkörperung der Ardennen.
Die Ge-Bär-Göttin
Der Name dieser Göttin stammt von „arta“ = Bärin ab. Artio wurde speziell im geographischen Raum der heutigen Schweiz sehr verehrt. Sie gilt auch als Verkörperung der Ardennen.
An einem früheren Kultplatz der Göttin Artio befindet sich heute die Stadt Bern, in dessen Stadtwappen immer noch der Bär zu finden ist.
Nachgewiesen ist die Verehrung dieser Göttin auch durch vier ihr gewidmeten Inschriften, die im Weilerbachthal (Luxemburg), sowie in den deutschen Städten Daun und Stockstadt und in Muri bei Bern (Schweiz) gefunden wurden. Die Schweizer Inschrift ist wohl die interessanteste, denn sie ist auf dem Sockel einer berühmten Bronzegruppe eingraviert und lautet: Deae Artioni Licinia Sabinilla, übersetzt: An die Göttin Artio, (von) Licinia Sabinilla. Die Bronzegruppe zeigt eine sitzende Göttin, die einem riesigen Bären gegenübersteht, der sie mit offenem Mund ansieht. Der Bär befindet sich unter einem Baum, der wahrscheinlich den Wald symbolisiert, in dem er lebt. (Siehe Bild)
Die Widmung ist von einer Frau, die das Duo Nomina und lateinische Namen trägt. Sie war somit eine römische Bürgerin.
Die Göttin Artio hat auf dieser Bronzeskulptur eine Haltung und Eigenschaften, die vieler der klassischen Muttergöttinnen entspricht: Sie ist mit einer lange Tunika bekleidet und trägt ein Diadem auf ihrem Kopf. Sie saß ursprünglich wohl auf einem Thron. Sie hat eine Obstschüssel auf dem Schoß, aus der sie der Bärin offenbar Früchte anbietet, was auf ihren nährenden Charakter schließen lässt. In der linken Hand hält sie eine Art Stock, auf dem ein Obstkorb steht.
Gefürchtet und majestätisch
Artio ist auch Göttin der Jagd. Wie viele andere andere Jagdgöttinnen auch, gilt sie als die Beschützerin des Waldes und all seiner Tiere.
Sie ist es, die auf das Gleichgewicht schaut, jene Tiere auswählt, die gejagt werden dürfen, alle anderen Tiere, sowie die Menschen bei der Jagd beschützt. Die friedliche Darstellung der Göttin mit dem Bären auf der Skulptur ist wahrscheinlich nicht repräsentativ für das Zusammenleben von Menschen und Bären. Vielmehr wurde die Göttin wahrscheinlich angerufen, um vor den wilden Tieren beschützt zu werden. Die Obstschüssel, aus der sie der Bärin Früchte anbietet, deutet auf den nährenden und besänftigenden Charakter der Göttin hin.
Der Bär war ein gefährliches, gefürchtetes und schwer zu jagendes Tier. Auf Grund seiner Stärke und machtvollen Ausstrahlung wurde er sicherlich für seine Majestät gelobt. Es war daher auch Symbol für Kampf und Königtum. Bezeichnenderweise tragen berühmte Könige in der walisischen, britischen und irischen mittelalterlichen Literatur Namen, die wörtlich „Bär“ bedeuten, wie der mythische König von Irland Art sowie der berühmte König Arthur.
Rückzug in die geborgene Dunkelheit
Eine ganz besondere mythologische Funktion hatten Bärinnen. Sie galten als wehrhafte starke Mütter und wurden deswegen offenbar auch verehrt.
Bärengöttinnen wurden immer auch als Fruchtbarkeitsgöttinnen angesehen, da in der Bärin auch das Wort „gebären“ steckt.
Artio hat auch einen schamanistischen Aspekt, der mit dem Rückzug in die Dunkelheit zu tun hat, den wir auch in vielen schamanischen Riten finden.
Bärinnen empfangen nämlich im Herbst ihren Nachwuchs und verbringen die Zeit des Winterschlafes gleichsam mit einer Reise in die Dunkelheit, in der das neue Leben in ihr heranwächst.
Im Frühling, mit der Wiederkehr des Lichts taucht auch die Bärenmutter mit dem neugeborenen Jungen aus der Dunkelheit wieder auf. Bärinnen und damit auch Bärengöttinnen symbolisieren die Wiedergeburt und auch die Rückkehr von SchamanInnen aus ihrer Unterweltsreise mit neuer Weisheit und Einsichten, die sie mit der Welt teilen können. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Gestalt des Bären im bekannten Märchen Schneeweißchen und Rosenrot, der den Winter über im Haus (der Höhle) weilt und bei ersten Sonnenstrahl hinaus in die Welt muss (mehr dazu in diesem artedea-Blogbeitrag).
Für viele Frauen steht Dunkelheit für Schlimmes und Licht für Gutes.
Wie angenehm können jedoch dunkle Winterabende sein, an denen man ganz bei sich sein kann. Wie unangenehm können hingegen grelle Sommertage sein, an denen man keinen Schatten findet. Artio lehrt Frauen, sich zurück zu ziehen und Dinge reifen zu lassen — in die geborgene und schützende Dunkelheit zu gehen bzw. in das Licht mit neuem Leben, neuen Ideen und Projekten zu treten — ganz je nachdem, was gerade passend ist.
Artio wird auch mit dem Sternzeichen Ursa Major und Ursa Minor, der Großen und der Kleinen Bärin (die den Großen Wagen und den Kleinen Wagen enthalten) in Verbindung gebracht.
Das Christentum verwandelte viele Göttinnen in die Gestalt von Heiligen. Die heilige Ursula, deren Name die latinisierte Form der sächsischen Ursel ist, enthält Elemente der Göttin Artio. Der Festtag der Heiligen Ursula wird am 21. Oktober, also am Ende der Erntezeit gefeiert. Da Artio mit prall gefüllten Obstschüsseln dargestellt wird, die auf eine reichen Ernte schließen lassen, ist diese Verbindung der Heiligen mit der Göttin offensichtlich.
auch: Ærta