Aidos – Griechische Göttin des Gewissens, der Scham, Scheu, Schande und der Sittsamkeit

Scham ist im deutschen Sprachgebrauch eher negativ besetzt. Wenn man sich für etwas schämt, setzt das voraus, dass davor irgend etwas geschehen ist, das Unrecht ist bzw. das den Sitten widerspricht. Die Göttin Aidos ist aber viel umfassender zu verstehen. Steht sie doch auch für Bescheidenheit, Ehrfurcht, Demut und Respekt.

Stimme des Herzens

Scham ist im deutschen Sprachgebrauch eher negativ besetzt. Wenn man sich für etwas schämt, setzt das voraus, dass davor irgend etwas geschehen ist, das Unrecht ist bzw. das den Sitten widerspricht. Die Göttin Aidos ist aber viel umfassender zu verstehen. Steht sie doch auch für Bescheidenheit, Ehrfurcht, Demut und Respekt.

Mit ihrem weisen Rat – einer inneren Instanz in uns allen – kann man das eigene Handeln und die Absichten, die dahinter stehen, gut selbst beurteilen:

  • Was kann ich mit meinem Gewissen vereinbaren?
  • Mit welchen Konsequenzen ist zu rechnen, wenn ich etwas tue oder lasse?
  • Wie fühle ich mich, wenn ich die Auswirkungen meiner Handlungen in Betracht ziehe?
  • Wovor habe ich Respekt? Und warum?
  • Wo bin ich zu Recht, wo zu Unrecht bescheiden?
  • Wann habe ich mir etwas wirklich verdient und wann nehme ich mir etwas, das mir gar nicht zusteht?

All diese Fragen stellt Aidos ständig. Nur wird sie sehr oft nicht gehört, weil das Dröhnen des Alltagslärms ihre zarte Stimme überdeckt.

Göttin der „sozialen Anpassung“

Göttin Aidos steuert mit den mächtigen Gefühlen des Gewissens, der Scham und auch der Schande menschliches Verhalten, reguliert menschliches Zusammenleben und verhindert, dass Mitglieder einer Gemeinschaft „herausfallen“.

Scham ist häufig mit dem Erleben verbunden, „anders“ zu sein, von der Norm abzuweichen. Dies kann eine wichtige Information für die soziale Anpassung sein, nach der ein Mensch sein Leben und Verhalten sinnvoll einrichten kann. Scham ist allerdings auch immer ein Warnsignal und damit ein großes Geschenk der Göttin Aidos.

Scham verdeutlicht uns, dass unsere Konzepte von der Welt von anderen und von uns selbst nicht mit unseren momentanen Erfahrungen übereinstimmen. Es gilt daher immer wieder zu überprüfen, aus welcher Motivation diese Andersartigkeit entsteht und ob die Umgebung, die so anders ist als ich selbst, für mich persönlich noch stimmig, passend und richtige ist.

Aidos geht es nämlich nicht so um die gesellschaftlichen Konventionen, denn diese gibt es je nach Kulturkreis, Epoche und Status in millionenfacher verschiedenartigster Ausprägung.

Sich selbst treu bleiben

Vielmehr geht es ihr um die Stimme des Herzens, darum sich selbst treu zu bleiben. Sie und ihre treue Begleiterin, die Göttin Nemesis, die für Gerechtigkeit und Vergeltung zuständig ist, arbeiten eng mit den Moiren, den Schicksalsgöttinnen zusammen.

„Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte. Achte auf deine Worte, denn sie werden deine Taten. Achte auf deine Taten, denn sie werden deine Gewohnheiten. Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter. Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.“, diese Worte könnte die Göttin Aidos den Menschen ins Stammbuch geschrieben haben.

Man sagt von ihr, dass sie die letzte Göttin war, die die Erde nach dem sogenannten „Goldenen Zeitalter“ verlassen hat. Als dieses bezeichnet man die, als Idealzustand betrachtete Urphase der Menschheitsgeschichte, in der die Göttinnen noch persönlich unter den Menschen weilten.

Aidos hat bis zuletzt versucht, den Menschen dieses Gefühl der „natürlichen Scham“, dem Respekt vor der Schöpfung und allen ihren Geschöpfen, die Demut als Einsicht in die Notwendigkeit zu vermitteln.

Wofür schäme ich mich?

Wer jetzt die Stimme Aidos vernimmt, sollte sich fragen:

Wofür schäme ich mich?

  • Dafür, dass ich ein paar Pfunde zuviel auf die Waage bringe und damit nicht dem Modediktat der straffen, ewig jugendlichen, glatten Menschen entspreche?
  • Oder dafür, dass ich – im Luxus eines der reichsten Länder dieser Erde lebend – mit meinen Konsumgewohnheiten dazu beitrage, dass Menschen auf anderen Erdteilen ausgebeutet werden?
  • Dafür, dass ich mit meiner Heiterkeit und Lebenslust vielleicht einmal über die Stränge geschlagen habe?
  • Oder dafür, dass ich allen wichtigen Normen entspreche, mit meiner Rechthaberei alle quäle und meine Lebendigkeit eingebüßt habe?
  • Dafür, dass ich müde, erschöpft und arbeitslos bin und alle Viere grad sein lasse?
  • Oder dafür, dass ich gestresst und superwichtig meinen Mitmenschen die Luft zum Atmen nehme?

Aidos wird oft auch als Amme der Göttin Athena genannt. Athena die ja – nachdem Zeus mittels „Kopfgeburt“ selbst zur Welt brachte (nachdem er ihre mit ihr schwangere Mutter verschlungen hatte) musste ja ernährt werden.

Man weiß zwar nichts von Athena als Säugling, denn sie soll angeblich ja in voller Kriegsmontur mit einem Schlachtruf aus dem Kopf von Zeus entsprungen sein soll. Gleichgültig, ob es nun um physische oder seelische Nahrung geht, betrachtet man die Wesenszüge der Athena so scheint es nachvollziehbar, dass ihr Aidos – quasi mit der Muttermilch – ein gutes Gefühl für Gewissen und Verantwortung mitgegeben hat.

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