Chang-O ist die chinesische „Frau im Mond“ oder noch besser: „Frau am Mond“. Denn im Unterschied zu Mondgottheiten anderer Kulturen personifiziert sie nicht den Mond, sondern lebt auf ihm.
Gebieterin der Mondzeit
Chang-O ist die chinesische „Frau im Mond“ oder noch besser: „Frau am Mond“. Denn im Unterschied zu Mondgottheiten anderer Kulturen personifiziert sie nicht den Mond, sondern lebt auf ihm.
Die zehn Sonnen
Ein chinesischer Mythos erzählt in vielen Varianten, wie die Göttin Chang-O auf den Himmel gekommen ist: Einst soll die Göttin mit ihrem Mann, dem Kriegsgott Hou Yi im Himmel gelebt haben. Beide wurden vom Himmelskaiser auf die Erde geschickt, weil es dort eine Plage von Unheil anrichtenden Tieren gab. Sie bekamen den Auftrag, diese Tiere zu töten.
Nachdem diese Tat vollbracht war, zeigten sich die zehn Söhne des Himmelskaisers als brennende Sonnen am Himmel, die das Land austrockneten und die Ernte verdarben. Hou Yi versuchte die Menschen zu retten, indem er die Sonnen bat, ihre zerstörerischen Streiche zu unterlassen, doch sie hörten nicht auf ihn und brachten noch größeres Unheil über die Menschen.
Daraufhin erklomm Hou Yi den Kunlun Berg, schoss neun der zehn Sonnen vom Himmel und erlöste damit das Volk aus seiner Not. Die 10. Sonne verschonte er und befahl ihr, von nun an als Quelle des Lebens allmorgendlich auf- und allabendlich unterzugehen. So wurde Hou Yi zu einem gefeierten Volkshelden.
Als Strafe für den Tod seiner neun Söhne verwehrte der Himmelskaiser Hou Yi und seiner Frau Chang-O aber die Rückkehr in den Himmel und sie mussten als Menschen auf der Erde bleiben. Die Göttin sehnte sich aber immer mehr zurück nach ihrem Leben im Himmel.
Menstruation als Elixier der Unsterblichkeit
Bekannt ist die Geschichte rund um einen Unsterblichkeitstrank von dem es zwei Versionen gibt. Hier einmal jene aus der Sicht des unglücklichen Ehemann Hou Yi:
Als dieser hörte, dass die Göttin Xīwángmǔ einen Unsterblichkeitstrank hatte, machte er sich auf den beschwerlichen Weg zu ihr und bat sie um die Medizin. Jedoch musste er erfahren, dass sie nur einem einzigen Menschen zur Unsterblichkeit verhelfen konnte und so versteckte er das Fläschchen vor seiner Frau Chang-O. Diese fand es allerdings, trank dessen Inhalt und entschwand daraufhin für immer zum Mond, wo sie — nun unsterblich — immer noch lebt und auf die Erde herabblickt.
Hou Yi blieb traurig auf der Erde allein zurück und diente dem Volk. Später wurde er heimtückisch von seinem Lehrling Pangmeng erschossen.
In einer anderen — offenbar matriarchalen — Auslegung des Mythos gebietet Chang-O über die Menstruation und folglich über die sich ständig erneuernde Kraft. Man berichtet sogar, dass sie damit das Elixier der Unsterblichkeit besaß.
Ihr Ehemann Hou Yi war sehr neidisch auf ihre Macht, was zu ständigen Streitereien führte. Er strebte nach Unsterblichkeit und wollte das Elixier an sich bringen, um sein Leben zu sichern.
Schließlich hatte sie von all dem genug, zeigte ihm ihr Hinterteil und ging fort, um für immer im Mond zu wohnen, in ganz ähnlicher Weise, wie Lilith Adam verließ, um allein am „Roten Meer“ zu leben.
Von ihrem neuen Wohnort aus verbot Chang-O den Männern, den chinesischen Mondfestlichkeiten beizuwohnen, die daraufhin nur von Frauen zelebriert wurden, z.B. beim Vollmond der Tag- und Nachtgleiche im Herbst und Frühling.
Mond-Wohngemeinschaft mit Kaninchen und Holzfäller
Da sich Chang-O auf dem Mond etwas einsam fühlte, freundete sie sich mit einem Jade-Kaninchen an, im Volksmund „Yu Tu“ genannt, das auch auf dem Mond lebt und Elixiere herstellt. In einer anderen Version des Mythos nahm die Göttin bei ihrem „Mond-Flug“ das Kaninchen mit, damit es ihr am fremden Ort Gesellschaft leisten solle.
Eine Legende erzählt, dass die Stadt Beijing einmal von einer Seuche heimgesucht wurde. Fast jeder Haushalt war betroffen, und die Krankheit ließ sich nur schwer heilen. Chang-O war untröstlich, als sie das irdische Geschehen vom Mond aus sah. Sie schickte daher das Jadekaninchen zur Erde, um die Krankheit zu stoppen und zu heilen.
„Yu Tu“ verwandelte sich in eine junge Frau und ging als erfolgreiche Heilerin von Tür zu Tür. Viele wollten sich darauf hin bei ihr mit einem Geschenk bedanken. Diese lehnte jedoch alle Gaben ab. Nur Kleidung ließ sie als Präsente zu. Und so wechselte sie, wann immer sie an einen neuen Ort kam, ihre Kleider. Einmal zog sie sich an wie ein Straßenhändler, einmal wie eine Wahrsagerin, einmal männlich und einmal weiblich.
Um noch mehr Menschen helfen zu können und schnell in alle Winkel der großen Stadt kommen zu können, nutzte Yu Tu Reittiere wie Pferde, Hirsche, Löwen bzw. Tiger. So hinterließ sie ihre Spuren an jeder Ecke Beijings.
Nachdem das Jadekaninchen seine Mission beendet hatte, kehrte es in den Mondpalast zu Chang-O zurück, von wo aus die Menschen es auch sehen können.
Im Alten Beijing fingen die Menschen indes an, die guten Taten des Jadekaninchens in Form von Lehmfiguren zu verewigen. So etablierten sich über die Zeit Figuren in Form von Hasengottheiten auf Reittieren oder in Trachten verschiedener Berufsgruppen.
Zum traditionellen chinesischen Mondfest brachte jeder Haushalt der Hasengottheit Weihegaben dar, um ihr für ihre Gnade zu danken. Trotz ihrer Vielfalt hatten alle Figuren zwei Gemeinsamkeiten:
Sie hatten die Figur einer Menschenfrau und ein Hasengesicht, das aber meist die Frisur eines jungen Mädchens trägt.
In China sagt man noch heute, dass Chang-O in den dunklen Bereichen des Mondes als dreibeinige Kröte zu erkennen ist.
Die Kröte und die Freundschaft mit dem Kaninchen deutet auch auf ihre Funktion als Fruchtbarkeitsgöttin hin. Dazu gibt es auch in anderen Kulturen Parallelen – siehe z.B. die Maya-Göttin Ix Chel.
Ein anderer Mondbewohner ist der Holzfäller Wu Gang. Dieser beleidigte die Gottheiten, in dem er versuchte, so wie sie, Unsterblichkeit zu erlangen und daher auf den Mond verbannt wurde.
Wu Gang war es erlaubt, den Mond zu verlassen, wenn es ihm gelingen würde, auf dem Mond einen Baum abzuschlagen. Das Problem war, dass jedes Mal wenn er den Baum abschlug, dieser immer wieder nachwächst, weil die erneuernde Kraft der Mondgöttin Chang-O so stark ist. So ist er dazu verdammt, für eine Ewigkeit auf dem Mond zu leben.
Die heiligen Bäume von Chang-O sind ein knorriger Pinienbaum und ein blühender Pflaumenbaum als Symbole der Zyklen des zu- und abnehmenden Mondes und des Lebens als solches.
Die Pinie steht für Langlebigkeit, Standhaftigkeit und Selbstdisziplin.
Der Pflaumenbaum repräsentiert den Frühling, Unschuld, Sinnlichkeit und Glück.
Das weiblich Aktive und das männlich Passive
Im taoistischen China war Rot eine heilige Farbe, sie stand für Frauen, Menstruation, Blut, sexuelle Potenz und kreative Kraft. Chang-O wird daher meist als rote Göttin dargestellt und besonders gefeiert, wenn sich der Mond rot zeigt.
Weiß ist hingegen die Farbe von Männern, sie symbolisiert die Samenflüssigkeit, aber auch negative Einflüsse, Passivität und Tod.
Im Gegensatz zu späteren patriarchalischen Ansichten wurde das männliche Prinzip als „passiv“ und „still“ angesehen, das weibliche dagegen als „aktiv“ und „kreativ“.
Mond und Menstruation als das erste historische Zeitmaß
Wie auch in vielen anderen Kulturen glaubte man im alten China an eine enge Verbindung von der inneren Natur der Frau und der äußeren Natur der Erde und des Kosmos.
Chang-O ist, wie auch andere Mondgöttinnen, Taktgeberin des Rhythmus und Vertraute der Frauen. Wie Ebbe und Flut und andere Flüssigkeitsströme auf Erden, wie den Wechsel der Jahreszeiten lenkt sie auch den weiblichen Zyklus von Werden und Vergehen.
Die Verbindung zwischen dem Mondzyklus und dem Menstruationszyklus von Menschenfrauen verdeutlicht die Kraft von Chang-O, der roten Mondgöttin.
Folgender Text, der sehr gut zur Göttin Chang-O passt, ist dem Buch „Meine Tage – Quelle weiblicher Kraft und Intuition“ von Gabriele Pröll entnommen:
«Der Mond wird genauso regelmäßig voll und wieder leer wie die Gebärmutter der Frau und geht ebenso wie sie jede Woche in eine andere Phase über. Es dauert insgesamt etwa zwei Wochen vom Vollmond zum Neumond. Bei Neumond „menstruiert“ der Mond sozusagen. Er zieht sich zurück und ist nicht mehr sichtbar, obwohl er präsent ist.
Von manchen Kulturen wissen wir, dass die Frauen tatsächlich bei Neumond menstruieren. Nomadenfrauen, die im Freien schlafen, menstruieren fast immer gleichzeitig zu Neumond und bei Vollmond haben sie ihren Eisprung.
Die Begriffe „Menstruation“ und „Mond“ haben dieselbe Wortwurzel, nämlich „Monat“ und „Maß“ bzw. „messen“. Es gibt viele Hinweise darauf, dass der Mond das erste historische Zeitmaß darstellte und gemeinsam mit der Blutung der Frau Ursprung des Mondkalenders war.
Inder, Moslems, Babylonier und Römer machten das Mondjahr zur Grundlage ihres Kalenders. Die Römer zum Beispiel nannten die Zeitberechnung tatsächlich „Menstruation“.
Aus der Urgeschichte sind uns Fundstücke mit 13 Einkerbungen bekannt, das Mondjahr besteht aus 13 Monaten im 28-Tagezyklus – wie auch die Menstruation. Die 13 Menstruationsmonate wurden zum Beispiel im Tarxientempel in Malta in Form einer „Sau“ mit 13 Zitzen dargestellt und kann noch heute dort besichtigt werden. (Die „Schweinegöttin“ galt übrigens als die Göttin der menstruierenden Frau, sowie auch die Mondgöttin).
Der Feiertag im Mondkalender ist der Mon(d)tag, die Tage werden von Mittag bis Mitternacht gezählt. Die Nächte haben eine höhere Bedeutung und die zentrale Position nimmt die „Mondstunde“ um Mitternacht ein (bei uns auch Geisterstunde genannt). Alte Mondkalender waren immer zugleich Menstruationskalender, die zur natürlichen Geburtenregelung dienten.
Heute wenden wir uns langsam diesen Verbindungen mit der Natur wieder zu. Besonders der Mond ist wieder modern geworden. Wir wissen, dass er z.B.: Flüssigkeiten beeinflusst, nicht nur die Gezeiten der Meere, sondern auch Körperflüssigkeiten wie die Menstruation. Er hat auch Auswirkungen auf die Gefühle und Träume von Menschen.»
Immer, wenn Frauen das Gefühl haben, etwas aus dem Tritt geraten zu sein, immer wenn sie sich wieder in ihre eigene zyklische Kraft und jene der Natur einklinken wollen, immer wenn sie ihre regenerierenden Kräfte stärken wollen, können sie mit der „Frau im Mond“ Kontakt aufnehmen — z.B. indem sie einen Mondmonat lang jede Nacht ganz bewusst hinausgehen und mit Chang-O für ein Weilchen plaudern.
Ihre Ideen und Anregungen (die sich möglicher Weise auch in den darauf folgenden Träumen zeigen), sind oft ganz erstaunlich …
auch: Chang’e, Cháng’é, Chang-Ngo, Zhang-O, Heng-O, Heng e
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