Eris – Griechische Göttin des Chaos, der Unordnung und der Zwietracht

Eigentlich ist Eris eine Fruchtbarkeits- und Initiationsgöttin. Sie ist die Tochter der Nyx, jener Göttin, die aus dem Urchaos die wichtigsten Dinge geschaffen hat. Bekannt wurde Eris vor allem als Mitbeteiligte am Trojanischen Krieg.

Die weise Initiationsgöttin

Eris - artedea Göttinnen

Eigentlich ist Eris eine Fruchtbarkeits- und Initiationsgöttin. Sie ist die Tochter der Nyx, jener Göttin, die aus dem Urchaos die wichtigsten Dinge geschaffen hat.

Die Sache mit dem Apfel

Bekannt wurde Eris vor allem als Mitbeteiligte am Trojanischen Krieg. Dem Mythos nach war sie die einzige Göttin, die nicht zur Hochzeit von König Peleus und der Meeresnymphe Thetis eingeladen war.

Voller Groll soll sie einen goldenen Apfel mit der Inschrift Kallisti „Der Schönsten“ in die versammelte Hochzeitsgesellschaft gerollt und damit einen Streit zwischen HeraAthena und Aphrodite ausgelöst haben, weil jede der Göttinnen den Apfel für sich beanspruchte.

Als Zeus sich weigerte, ein Urteil zwischen den Göttinnen zu fällen, wurde dem Hirtenjungen Paris diese Entscheidung übertragen. Jede der drei Göttinnen wollte ihn bestechen: Hera versprach politische Macht und Dominanz in Asien, Athena Weisheit und Kriegskunst. Aphrodite jedoch las Paris‘ Wünsche am klarsten, indem sie ihm die schönste Frau auf Erden versprach.
Dieser entschied sich für Aphrodite und wählte als Belohnung Helena von Troja, Gemahlin des griechischen Königs Menelaos.
Seine Entführung der Helena entfachte den Trojanischen Krieg.

Der patriarchale Hintergrund dieses Mythos

Soweit die Überlieferung, die natürlich klar in einem patriarchalisch geprägten Zusammenhang gesehen werden muss.
Schuld an Kriegen und Auseinandersetzungen sind bemerkenswerter Weise nicht entscheidungsschwache und bestechliche Männer, Clanchefs, Götterväter, Vorstandvorsitzende, Staatspräsidenten, die ihre eigenen Machtstrategien fahren, sondern kleine Mitläufer oder rachsüchtige, beleidigte, eitle und hintertriebene Frauen.

Eine seltsame Rolle spielt hier zuerst einmal der eigentlich bedauernswerte Paris. Weil sich der Göttervater nicht entscheiden will (anstatt dass er ein Machtwort spricht und den Apfel schlicht der Braut gibt), wird ein einfacher Hirtenjunge gewählt. Der trägt jetzt die Verantwortung, der ist dann auch an allem Schuld.

Damit sind wir bei einem sehr aktuellen Thema: Wie oft kennen wir das aus unserer Zeit. Während die Köpfe kleiner Angestellter «rollen», entziehen sich die großen Konzernbosse jeglicher Verantwortung …

In dieser Geschichte wird vor allem aber auch gut sichtbar, wie die Große Göttin am Übergang vom Matriarchat in das Patriarchat in verschiedene Aspekte zerstückelt wird und wie gezielt gesäte und genährte Zwietracht unter den Frauen funktioniert. Macht und Dominanz gegen Erotik und Sex gegen Intelligenz und Ruhm.

In der männlich eindimensionalen Welt ist es kaum vorstellbar, dass eine einzige Frau (oder sogar Göttin) all diese Prädikate in sich hat und auch verschenken kann. Dass man einer Göttin (und somit alle Frauen als Vertreterinnen der Göttin) diese Allmacht zugesteht, ist natürlich höchst gefährlich.
Daher wurde die sehr umfassende Aphrodite auch auf ihre Schönheits- und Liebesaspekte reduziert. Dennoch musste sie für die Rechtfertigung eines Krieges herhalten, ohne ihr auch den definierten Aspekt der Kriegsgöttin zuzugestehen. Auch Hera und Athena bekommen ihren Platz in diesem makaberen Spiel.

Sie alle drei unterstützen auf entscheidende Weise die jeweiligen Parteien. Wie auch heute noch den Mädchen und Frauen beigebracht wird, in einander entzweiender Weise verschiedene männliche Positionen zu unterstützen.
Eine hervorragend funktionierende Methode, um das Patriarchat beständig aufrecht zu erhalten.

Vergleich mit Dornröschen

Die Geschichte der nicht eingeladenen Göttin erinnert auch an die sogenannte „13. Fee“, die zur Taufe von Dornröschen nicht eingeladen wurde. Im übrigen ist im Märchen nie von Feen die Rede, sondern immer von „Weisen Frauen“.

Wie oft passiert es, dass man auf Frauen einfach vergisst. Die „Wichtigen der Welt“ haben andere Dinge im Kopf. Ob da jetzt eine Fee, eine weise Frau oder Göttin zu einem Fest geladen wird, ist nicht so entscheidend.

Vielleicht aber geschah diese Missachtung sowohl bei Eris wie auch bei der „13. Fee“ ganz absichtlich. Welchen Einfluss aber gerade jene Frauen haben können, die nicht in der ersten Reihe im Rampenlicht stehen, wird wird dabei allerdings oft unterschätzt.

Die 13. Weise Frau weist in ihrem Wunsch auf die Tatsache hin, dass Dornröschen an ihrem 15. Geburtstag zu bluten beginnen wird (umschrieben damit, dass sie sich an einer Spindel stechen wird). Damit «stirbt» das kleine Mädchen und eine erwachsene junge Frau geht aus ihm hervor.

Was für ein schöner Wunsch für ein neugeborenes Mädchen: Genieße deine Kindheit und reife in 15 Jahren zu einer fruchtbaren jungen Frau heran! Etwas, was allerdings den König, wie jeden Vater beunruhigt. Mit der Entdeckung ihres Frau-Seins und ihrer Sexualität entschwindet die Tochter seinem Einflussbereich. Das ist in patriarchalen Strukturen schwer auszuhalten.

In matriarchalen Gefügen wird dieser Übergang hingegen gefeiert. Der Schwerpunkt liegt nicht darauf, dass das kleine, süße und leicht lenkbare Mädchen nicht mehr existiert, sondern dass eine neue erwachsene und fruchtbare Frau in die Runde aufgenommen werden kann. Tatsächlich geht die Prinzessin mit Beginn ihrer Pubertät auch zur „weisen alten Frau“ in das Turmzimmer und wird initiiert.

Wem galt das Brautgeschenk?

Betrachtet man die Geschichte der Eris genauer, werden Parallelen sichtbar, speziell was Sexualität und Fruchtbarkeit anlangt. So ist es wohl klar, wem der Apfel der Eris wirklich gegolten hat — der Schönsten. Und das ist bei einer Hochzeit immer die Braut.

Der Apfel als uraltes Symbol der Fruchtbarkeit sowie der runden weiblichen Sexualität scheint auch ein passendes Brautgeschenk. Daher ist also davon auszugehen, dass Eris ursprünglich eine Fruchtbarkeitsgöttin war. Auch wenn sie bei einer Hochzeit offiziell nicht eingeladen ist, so kann man diese Kraft in Form ihres Brautgeschenks nicht aufhalten.
Offen bleibt die Frage, warum dies so missverstanden wurde und wer Interesse daran hatte, dass nicht die Braut das Symbol einer selbstbestimmten Fruchtbarkeit und Sexualität bekommt, sondern daraus der berühmt-berüchtigte Zankapfel wurde.

Der böse, böse Apfel

Da kommen wir noch zu einem ganz anderen Thema. Löste hier das Missverständnis um den Apfel der Eris «bloß» ein Krieg aus, so hatte ein anderer Apfel noch viel weit reichendere Folgen – die Vertreibung der gesamten Menschheit aus dem Paradies.

Die Übersetzung des lateinischen Wortes «malus» bedeutet sowohl «böse» als auch «Apfelbaum». Also der Wurm (oder die Schlange) ist schon wieder — wie bei Eris — im Apfel.
Wer vom biblischen Apfel isst — so war das Apfel-Ess-Verbot begründet worden — würde die Erkenntnis darüber besitzen, was Gut und was Böse ist.

Ist das beim tieferen Nachdenken nicht paradox? Muss es nicht gerade im Interesse Gottes liegen, dass die Menschen wissen, was Gut und Böse ist? Im Konzept eines Vater-Gottes war aber offenbar nicht vorgesehen, dass sich die Menschen in denkende, urteilende, wissende, schuldfähige, eigenverantwortliche wirkliche Gott-Ebenbildern entwickeln.

Einer Auslegung des Alten Testaments zufolge, handelt der sogenannte Sündenfall nicht vom Ursprung des Bösen, sondern von einer weit reichenden Entdeckung: Die Sexualität und das Geheimnis der Fortpflanzung sei den Menschen unbekannt gewesen. Aber es wird ihnen von einem Schlangengott verraten, woraufhin Gott diesen Schlangengott ebenso bestraft wie die Menschen, denen man aber das Geheimnis der Fortpflanzung nicht mehr entreißen kann.

Auch die Göttin Eris wollte offenbar die frisch verheiratete Thetis in dieses Geheimnis einweihen. Dumm gelaufen. Männer wollten damals offenbar keine von alten Göttinnen initiierte Ehefrauen und zettelten lieber stattdessen eine Streiterei unter den Hochzeitsgästen an, die allen gründlich die Laune verdarb. Heute, im 21. Jahrhundert ist das zum Glück ja ganz anders 😉

Initiationsgöttin im Brautgemach

Eris ist damit eine der weisen Initiationsgöttinnen, die jungen Frauen (und allen, die ihren Ratschlag und ihr uraltes Wissen sonst noch dringend benötigen) nicht nur viel über selbstbestimmte, lustvolle Sexualität weiter geben können.

Da sie auch die Göttin des Chaos und der Unordnung ist, sitzt sie vermutlich auf der Bettkante jedes Brautgemachs und beruhigt die junge Frau schon einmal ganz generell:
„Du hattest bis jetzt dein Leben ganz gut im Griff — deine Bücherregale, Badezimmerschränke und Küchenkastln, deine Gedanken und Gefühle waren soweit geordnet, dass du dich gut in deinem Leben zurecht gefunden hast. Das, meine Süße, schmink dir gleich einmal ab. Ab jetzt segelst du durch Chaos und Unordnung. Multitasking-Fähigkeiten und eine große Portion Gelassenheit sind in jeder Ehe gefragt. Aber keine Bange: Ich bin bei dir. Und glaub ja nicht an die Geschichte mit dem Zankapfel, ich habe aus meiner Geschichte gelernt. Ich unterstütze dich dabei, dass du von den machtstrategischen Ideen von Männern nicht instrumentalisiert wirst.“

Im Römischen Reich war Eris im Übrigen als Discordia bekannt. Zu dieser Göttin gibt es aber keine überlieferte Geschichte.
Wahrscheinlich konnte die Story ihrer griechischen Urmutter auch nicht mehr überboten werden.

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