Frau Hitt – Keltische und alpenländische Riesenkönigin, Bergmutter und Unterweltsgöttin

Der Sage nach war Frau Hitt eine mächtige Riesenkönigin, die in uralten Zeiten über Innsbruck auf den Bergen wohnte. ​Zahlreiche Geschichten ranken sich um ihre Hartherzigkeit – mit großem Eifer wurde die alte Muttergöttin in schlechtem Licht dargestellt und verunglimpft.

 Die verborgene Göttin

«Versteinert» sieht man sie als einer der Gipfel der Innsbrucker Nordkette – Frau Hitt thront 2.269 Meter über Innsbruck und ist die Quelle von manch gar grimmigen Sagen und fehlinterpretierten Mythen.

Der Sage nach war Frau Hitt eine mächtige Riesenkönigin, die in uralten Zeiten über Innsbruck auf den Bergen wohnte, die wir jetzt als grau und kahl kennen. Zu ihren Lebzeiten waren sie aber voll grüner Wiesen, Wälder und ertragreicher Äcker.
Was von ihr (wohl auch durch christliche Moralvorstellungen) überliefert ist, ist ihre Härte, ihr Geiz, ihre frevelhafte Lebensweise und ihre Selbstverliebtheit.

Zahlreiche Geschichten ranken sich um ihre Hartherzigkeit – wie sie Bettlerinnen und arme Leute wegweist, ihnen statt Almosen nur Steine gab. Mit großem Eifer wurde die alte Muttergöttin in schlechtem Licht dargestellt und verunglimpft.

Der schmutzige Riesensohn

Die wohl bekannteste Sage handelt von Frau Hitt und ihrem kleinen Sohn, den sie über alles liebte. Eines Tages kam er weinend und jammernd heim. Er — der Riesenknabe — hatte sich eine Tanne abgeknickt und als Steckenpferd benutzt.
Beim Herumbalgen gab das Erdreich nach und samt seiner Tanne plumpste er in den moorigen Schlamm. Er konnte sich aus dem — im wahrsten Sinn des Wortes — Schlammassel zwar befreien, war aber über und über dreckverschmiert. Auch seine Kleidung war schwarz wie ein Köhlerkittel.

Frau Hitt, seine Mutter tröstete ihn, versprach ihm neues Spielzeug und ein neues schönes Röcklein und rief ihre Diener. Diese sollten den Jungen ins Bad zu stecken.
Damit auch nicht die geringste Schmutzspur an ihm haften blieb, sollte er in Milch gebadet und mit Weißbrotstücken getrocknet werden.

Da zog aber sofort ein schweres, schwarzes Gewitter samt Erdbeben daher und entsetzlicher Blitz und Donner schlug ein. Dies wurde als Strafe dafür interpretiert, dass Frau Hitt mit der «heiligen Gottesgabe» Brot und Milch so «sündig» umgegangen ist.

Als es wieder sich aufgehellt hatte, waren alle grünen Wiesen und Wälder, die reichen Kornäcker und auch die Wohnung der Frau Hitt verschwunden. Ringsherum war nur mehr karger Fels mit zerstreuten Steinen – eine Gegend, wo kein Grashalm mehr wachsen konnte. So wie wir auch heute die Nordkette über Innsbruck kennen.

Hoch über all dem sieht man Frau Hitt, die zur Strafe bis zum jüngsten Tage versteinert war.
In vielen Gegenden Tirols, besonders in der Nähe von Innsbruck wird Kindern diese Sage zur Warnung erzählt, besonders dann, wenn sie mit ihrem Essen spielen, mit Brot werfen oder sonst Übermut damit treiben.
«Spart Eure Brosamen, für die Armen, damit es euch nicht ergehe, wie der Frau Hitt.» So steht es in den bekannten Sagen-Büchern.
Soweit die Sage mit dem Kinderschreck.

Die tiefere Symbolik der schrecklichen Sagen

Eine weitere Sage handelt von der «Hartherzigkeit» der Frau Hitt einer Bettlerin gegenüber. Als sie eines Tages auf ihrem Pferd einen steilen Pfad hoch ritt, trat eine Bettlerin mit ihrem Kind an den Waldrand. Die arme Frau flehte um ein Stück Brot für ihr Kind. Da brach Frau Hitt einen Stein aus dem Fels, und reichte ihn der Bettlerin als Brot. Die Sage erzählt weiter, dass die Bettlerin darauf hin voller Zorn rief: «Hart wie Stein ist dein Herz, und zu Stein sollst du werden!»
Die Riesenkönigin lachte nur über den Fluch, und ritt unbeirrt weiter. Darauf hin wieder ein ähnliches Szenario: Es verfinsterte sich der Himmel. Ein fürchterliches Gewitter brach los. Frau Hitt wurde mit ihrem Pferd in das bekannte Felsgebilde verwandelt, das als Wahrzeichen auf der Nordkette hoch über Innsbruck thront.

Im christlichen Sinne handeln diese beiden Sagen also von furchtbaren Freveltaten, in denen Frau Hitt ihre gerechte Strafe bekommen hat.
Es lohnt sich aber, eine tiefere Bedeutung der Geschichten zu betrachten.

Wenn Frau Hitt ihr Kind in Milch badet und mit es Weißbrot abtrocknet, so scheint dies auf ein uraltes Heil- bzw. Initiationsritual hinzuweisen. Der Sohn der Frau Hitt scheint in etwa 6 Jahre alt zu sein. Kein ganz kleines Kind mehr. Kräftig und eigenständig genug, um in den Wäldern herum zu tollen. Dieses Alter ist die erste Stufe, in dem Kinder von den Eltern ein wenig losgelassen werden. Nicht von ungefähr beginnt in diesem Alter auch die Schulzeit.
Für dieses Loslassen braucht es ein Initiationsritual für Segen und Schutz.

Die Mutter «imprägniert» quasi ihr Kind noch einmal mit der Nahrung, die es von ihr bekommen hat.
Milch steht natürlich für die Muttermilch. Brot ist ein Symbol für den Mutterkuchen, der einst den Fötus genährt hat.
Eingehüllt und auf diese Weise erinnert an diese Gaben kann das Kind nun wohlbehütet die ersten eigenständigen Schritte tun.
Milch steht darüber hinaus für alles Flüssige, Reinigende. Um im Fluss des Lebens zu bleiben und ganz besonders reinigend sind ja bekanntlich Bäder in (Esels-)milch. Das erinnert gleich an den Mythos der Cleopatra, die damit ihre Schönheit pflegte und bewahrte.

Brot ist das Symbol für alles Materielle. Für einen gesunden Körper und für Wohlstand.

Frau Hitt segnet ihr Kind mit den Gaben der Natur. Nun kann das «Kind» einer «großen Mutter» durchaus auch als ein Vertreter der Menschenwelt gedeutet werden. Die Berggöttin gibt den Menschen Milch und Brot. Von den Kühen, die auf ihren saftigen Almen grasen und vom Getreide, das auf ihren Feldern wächst.

Sehr interessant auch die Bedeutung des Steins in der Sage mit der Bettlerin. Diese kluge Gabe der Frau Hitt ist Grundlage für jede moderne Entwicklungszusammenarbeit. Menschen, die hungern ein Stück Brot zu geben, ist eine sehr kurzfristige Hilfe.
Was macht Frau Hitt, die Riesenkönigin? Sie bricht einen Stein aus dem Felsen und gibt ihm der Frau. Dieser Stein ist gleichbedeutend mit einem Stück Land. Ein Stein in der Hand einer Riesin ist für eine Menschenfrau groß genug, um ihr eigenes Land zu haben, um dieses zu bestellen und damit selbst für ihre Nahrung sorgen zu können.
Das war natürlich ganz und gar nicht im Sinne der Feudalherren, die eng mit der christlichen Kirche verbunden waren. Wo kämen wir denn da hin, wenn die armen Leute ihr eigenes Land bekommen? Und damit nicht mehr für die Großgrundbesitzer für ein wenig Lohn schuften.
Daher musste diese offenbar uralte Geschichte, die von der Großzügigkeit der Muttergöttin erzählt, vom Selbstverständnis, dass die Menschen ihr eigenes Land haben, in die Schreckensgeschichte der hartherzigen Riesin verdreht werden.

Die verborgene und beschützende Bergmutter

Um die wahre Bedeutung der Frau Hitt zu erkennen, ist es gut, sich zuerst einmal ihren Namen näher anzuschauen. Darin steckt dieselbe Sprachwurzel wie im englischen Wort «to hide» bzw. «hidden», was auf eine verborgene Göttin hinweist (vgl. auch «Hut» oder «behüten»).

Im einst keltischen Tirol war im Schoß der guten alten Berg- und Wintermutter also vermutlich die «Anderswelt» verborgen, bzw. gab es Höhlen, die Menschen Schutz (vor Verfolgung, Unwetter etc.) boten.

Wir kennen auch Hittisberg bei Hittisau im Bregenzerwald, dessen Name in etwa derselben Zeit entstanden ist – einer der typischen Heiligen Berge unserer keltischen AhnInnen. In diesem Hittisberg sollen sich «vor uralten Zeiten ganz kleine Leute – fromm und gescheit» versteckt haben, die im «Winter» fort und im «Frühling» wieder gekommen sind.

Hier finden wir die, in den Sagen gebräuchliche, verschlüsselte Darstellungen der BewohnerInnen der verjüngenden keltischen Anderswelt. Es ist zu vermuten, dass es sich bei den «kleinen Leuten» um die verstorbenen Seelen handelt, die sich im Berg — versteckt und behütet von der Berg- und Wintermutter — regenerieren, bis sie ihre irdische Wiedergeburt (= Frühling) erleben.

Dieses Motiv taucht immer wieder in den Mythen auf, z.B. auch bei der schottischen Göttin Cailleach. Mit zunehmender Christianisierung wurden aus diesen Seelen der Verstorbenen die «Zwerge» der Sagen und Märchen, die in den Bergen leben.

Denn das Christentum hat für die verstorbenen Seelen ja Hölle, Fegefeuer oder Himmel vorgesehen und nicht das tröstliche Heimkehren in eine «Große Mutter». Da die alten Mythen nicht ausgelöscht werden konnten, wurden sie umgewandelt — und daher wurden in den Mythen aus den Seelen nach und nach die Zwerge und das «Kleine Volk».

Die Gipfel und Höhenrücken unserer Bergwelt waren ursprünglich Sitze der keltischen Göttinnen und ihrer Heroen, bevor diese durch christlichen Einfluss zu den späteren oft einfältigen, bösen oder gewalttätigen «Kraftlackeln», «Riesen» oder «Riesenfrauen» der Sagen herabgewürdigt wurden.

Den Seelen der InnsbruckerInnen leistete sogar die Behüterin selbst Gesellschaft! Frau Hitt lebt der Überlieferung nach nämlich nicht nur auf sondern auch «in» den Bergen über Innsbruck.

Frau Hitt als keltische Berg- und Muttergöttin hatte ursprünglich nichts Böses an sich.
Sie war vielmehr das Gegenteil ihrer christianisierten geizigen Karikatur!
Als Göttin des Überflusses und der Fülle brachte sie die grünen Berge, die fruchtbaren Fluren, die nährende Natur. Sie gebar, nährte und beschützte und nahm die Seelen wieder in sich, in der Muttererde, im Berg auf, bis sie diese neuerlich wieder gestärkt und verjüngt ins irdische Leben entließ!

Wohlstand, Gesundheit, Reichtum und Lebenslust in Hülle und Fülle

Frau Hitt segnete ihren Sohn mit den Gaben der Natur. Damit hat sie viele «Schwestern», deren Mythen an die matriarchale Zeit erinnern, in denen Butter, Milch, Getreide und Brot im Überfluss vorhanden ist.
So pflastern die «Sennerinnen vom Hochkönig» ihren Weg mit Käselaiben, die Fugen dazwischen füllen sie mit frischer Milch aus. Aus der goldgelben Butter formen sie Butterkugeln und spielen damit. Auch die «Saligen Frauen» buttern im Überfluss und helfen den Menschen in all ihren Nöten.

Die großzügige Bergmutter, die Naturgottheiten verleihen Wohlstand, Gesundheit, Reichtum und Lebenslust in Hülle und Fülle! Das widerstrebt den aufkommenden christlich-patriarchalen Strömungen:
Jener von der großen alten Muttergöttin ursprünglich gebotene Überfluss, die üppigen, saftigen Wiesen, grünenden Wälder, reichen Felder entsprach so gar nicht dem christlich-patriarchalen Konzept von einem Diesseits als Jammertal, in dem sich die Menschen zu Gunsten der unersättlichen Feudalherren (in Gutshöfen, Schlössern und Klöstern) abzurackern hatten.

Es galt, den Großteil der produzierten Nahrungsmittel (von der Milch über das Getreide bis zum Vieh) abzuliefern. Dafür sollte man den «Herrn» loben, um dann vielleicht nach dem Tod in einem «himmlischen Jenseits» belohnt zu werden.
Wenn man dem zuwider handelte, standen Fegefeuer und Hölle bereit — und keineswegs natürlich der beschützende Schoß der alten göttlichen Bergmutter, in dem man sich regenerieren und auf die Wiedergeburt warten konnte.

Das übermütige und «gottlose» Verschenken der Gaben der Natur

Das Verschenken von «göttlichen Gaben» wie Butter, Milch und Brot musste demnach also als gottlos und übermütig gelten und verdammt und bestraft werden.

In einem fürchterlichen Sturm werden die lebenslustigen Sennerinnen vom Hochkönig (die zudem auch recht wählerisch in ihrem Umgang mit Männern sind) von Schnee und Eis begraben.
Frau Hitt erstarrt in einem schrecklichen Gewitter zu Stein. Die Glück und Wohlstand bringenden göttlichen Frauen, die den Menschen Gutes tun und sie reich beschenken, wurden nach und nach als gottlose (= böse!) Frauen interpretiert, die für ihren Frevel bestraft werden müssen.

Jene Muttergottheiten, die ihren Segen butternd und Milch fließend verströmen, wurden als böse Hexen gedeutet, die die Milch von anderen stehlen und auf Butterfässern durch die Lüfte fliegen.

Die Verehrung von weiblichen Gottheiten war jedoch im Volksglauben viel zu fest verankert. Immer, wenn die Abwertung oder Vernichtung der göttlichen Frauen, die Verzerrung ihres Mythos ins Gegenteil (wie wir es bei Frau Hitt vorfinden) nicht gelang, wurde aus den alten Muttergottheiten eine christliche Heilige (siehe auch Bethen) oder gleich «Unsere liebe Frau», mit der die Muttergöttin Maria in vielen Ausprägungen gemeint ist und die mit den Riten der alten (regionalen) Göttinnen weiter verehrt wurde.

Frau Hitt grüßt noch heute von der Nordkette herunter. Sie lebt am Berg und im Berg und erinnert Menschen daran, dass die Gaben der Natur bereit stehen, dass sie behütet und aufgehoben sind — zu Lebzeiten und danach — im Schoß der Großen Mutter.

auch: Frau Hütt; Frau Hilt

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