Besonders in Bayern, Tirol, Schwaben und Franken sowie im Elsass genießt die Göttin Holla, auch Frau Holle genannt, hohes Ansehen. In vielen Familien gilt sie als Hausgöttin, weil sie eine den Menschen zugeneigte, ihnen freundlich und mild gesonnene Göttin ist, die Pflanzen, Tieren und Menschen Schutz gibt.
Die Frau Holle
Besonders in Bayern, Tirol, Schwaben und Franken sowie im Elsass genießt die Göttin Holla, auch Frau Holle genannt, hohes Ansehen. In vielen Familien gilt sie als Hausgöttin, weil sie eine den Menschen zugeneigte, ihnen freundlich und mild gesonnene Göttin ist, die Pflanzen, Tieren und Menschen Schutz gibt.
Sie kann vor allem Menschen von Krankheiten heilen. Sie hat ihnen auch zahlreiche Kulturtechniken wie das Spinnen und Weben gebracht. Holla ist jedoch weit mehr als das: Als große strahlende Himmelskönigin regiert sie über die Elemente, das Wetter und die Jahreszeiten.
Sonnenschein fließt von ihrem Haar, wenn sie es kämmt, die Welt ist von Nebel umhüllt, wenn sie Feuer macht und kocht, Wolken sind die Schafe der Frau Holle, die auf die Weide getrieben werden, Regen fällt, wenn sie ihr Waschwasser ausleert, Schnee, wenn sie ihre Federbetten ausschüttelt.
Auch das uralte Märchen der Holla (siehe weiter unten) gibt Hinweise auf sie als Gebieterin der Jahreszeiten: Die Goldmarie erwacht auf der Frühlingswiese, dann holt sie das Brot, welches aus dem Sommergetreide gebacken ist, aus dem Ofen. Gleich darauf ist es Herbst und sie hilft bei der Apfelernte und schließlich soll sie dafür sorgen, dass es auf der Welt schneit. Holla wird als stets helfende Muttergöttin, überhaupt als eine weise Frau angesehen.
Die Menschen verehren in ihr die Güte der Mutter Erde und das strahlende Himmelslicht zugleich. Ihr Name hat den gleichen Ursprung wie die Worte ,,hold“ oder ,,Huld“. In manchen Gegenden wird sie auch Perchtha oder Frau Percht genannt.
Weibliche Erdgottheit aus der Jungsteinzeit
Nach Ansicht der Matriarchatsforscherin Heide Göttner-Abendroth geht die Gestalt der Holla als große Muttergöttin auf die Jungsteinzeit zurück. Auch der Historiker Karl Kollmann kommt zu einer ähnlichen Schlussfolgerung: Die historisch überlieferten Indizien sprechen jedenfalls stark für die Annahme, dass Frau Holle keine Spukgestalt und kein Vegetationsdämon ist, sondern die regionale Verkörperung einer uralten weiblichen Erdgottheit, wie man sie fast überall auf der Welt unter den verschiedensten Namen verehrt hat.
Die früheste schriftliche Erwähnung findet sich in den Dekreten des Erzbischofs Burchard von Worms, die zwischen 1008 und 1012 verfasst worden waren. Häufig wird Frau Holle auch mit der germanischen Totengöttin Hel identifiziert. Das Äußere der Frau Holle wird sehr unterschiedlich beschrieben. Während sie in den Grimmschen Märchen als teils gutmütige, alte Frau, teils auch Respekt einflößend mit großen Zähnen dargestellt wird, erscheint sie in anderen Mythen als wunderschöne „weiße Frau“ mit goldenen Haaren.
Sitz‘ ma unter’m Hollerbusch
Der Lieblingsbaum von Holla ist – wie könnte es anders sein – der Hollerbusch, in dem viele Menschen noch heute die Göttin selbst sehen. Die Liebe der Göttin zum Holunder verwundert ein wenig, denn wie eine besondere Busch- oder Baumschönheit wirkt er ja nicht gerade. Seine Äste sind krumm und mit einer unschönen Rinde bedeckt. Sie wirken meist morsch und abbruchreif. Im Winter gleicht der Busch einer zusammengefallenen greisenhaften Figur. Alter Holunder sieht tot und gespenstisch aus, Unmengen von Spinnen wohnen darin, es knarrzt gar furchterregend und nur das Äußere der Bäume ist grün, im Inneren scheint alles tot.
Der Holunderbusch wird massiv von Blattläusen heimgesucht, was sein Wachstum aber nicht zu stören scheint. Wer schon in einem Holunderwald war, weiß aber, warum es zwischen dieser Pflanze und der alten Göttin eine Verbindung gibt. Im Frühjahr nämlich, wenn seine weißen Blüten aus dem satten Grün der Blätter heraus leuchten, besitzt er eine stille Schönheit, und da ist die Wohnung der beschützenden Göttin Holla sehr wohl in ihm zu vermuten. Holunder liebt es, in sumpfigen, brackigen, modrigen Umgebungen zu wachsen.
Auch auf den ärmsten Böden findet Holler die notwendigen Bedingungen für sein üppiges Wachstum. Im Inneren ein dürres Geäst, ist er nach außen lebensspendend, gibt gute, gesunde Blüten und Früchte, die in der Volksheilkunde vielfach erfolgreich zum Einsatz kommen. Holunder galt als die Hausapotheke in jedem Bauernhof (mehr davon weiter unten im Text). Auch die germanische Liebesgöttin Freya soll eine besondere Beziehung zum Holunderbusch haben und in dem Strauch wohnen. Nicht ohne Grund stehen diese noch heute vornehmlich an Waidrändern, an alten Scheunen oder auf Wegen in der Nähe menschlicher Behausungen. Alte Leute haben vor dem Hollerstrauch immer noch großen Respekt und ziehen oft sogar den Hut vor ihm, wenn sie vorbeigehen.
Weihegaben zu Ehren der Holla werden stets unter Holunderbüschen dargebracht. Das Holz von einem Hollerbusch sollte niemals ins Feuer geworfen werden, außer um Holla zu rufen oder sie um ein Orakel zu bitten.
In der Zeit, in der die Menschen an das göttliche Walten der Frau Holle glaubten, war es streng verboten, einen Holunderbusch zu fällen oder zu beschädigen. Man glaubte, wer ihn fälle, werde unweigerlich von einer Krankheit befallen. Noch aus dem 17. und 18. Jahrhundert wird berichtet, dass die Menschen den Busch um Verzeihung baten, wenn sie ihn fällen mussten, um zum Beispiel Heilmittel herzustellen.
Von einem schlesischen Brauch wird berichtet: ,,Bevor man etwas Holz vom Holunderbusch abbricht, muss man die Hände falten, niederknien und den Strauch um Vergebung bitten mit den Worten: Frau Elhorn, gib mir was von deinem Holze, dann will ich dir von meinem auch was geben, wenn es wächst im Walde“. Nach der Verbreitung des Christentums wurde der alte Brauch, an Quellen und unter Holunderbäumen zu beten und zu opfern, mit hohen Strafen belegt. Und bald wurde nach dem Willen der christlichen Kirche aus der weisen und gütigen Lichtgöttin ein gefährlicher Spukgeist.
Christliche Schauergeschichten
Natürlich konnten die Kirchenväter nicht zugeben, dass sie Respekt vor der Macht der alten Göttin haben und diese eine Ernst zu nehmende Konkurrentin ihres Gottes ist. Also erfand man, wie so oft, eine Geschichte: Die Schrunden auf den Holunderzweigen sollen demnach daher rühren, dass Jesus von seinen Folterknechten mit Holunderruten gepeinigt wurde. Im Widerspruch dazu heißt es aber auch, dass Maria die Windeln des Christkindes auf seinen Zweigen getrocknet habe. Und weiter wird berichtet, dass sich der Verräter Judas am Holunderbaum erhängt habe.
Frau Holle wurde jedenfalls zur bösen Frau, die „kleine Kinder raubt und den faulen Spinnerinnen den Flachs stiehlt, den Menschen den Bauch aufschneidet, Steine hinein legt und ihn wieder zunäht.“ In jener Jahreszeit, in der die gütige Frau Holle einst durch die Lüfte zog, um neues Leben zu wecken, treibt sie nun nach der Auslegung des neuen Glaubens ihr verderbliches Spukwesen. In den Rauhnächten zieht sie mit einer Schar entsetzlich gestalteter Gespenster über den Himmel und bringt Tod und Verderben.
Hier sind sehr deutlich die Umkehrungen zu erkennen, die es in der Geschichten rund um alte Göttinnen im christlich-patriarchalen Zusammenhang gibt: Bringt die alte Muttergöttin noch die Kinder, die sie aus ihrem magischen Teich fischt, so wird dies nun ins Gegenteil verdreht und sie als Kinderräuberin dargestellt.
Zieht sie als gütige Alte in den Rauhnächten durch die Welt, um die Seelen der in diesem Jahr Verstorbenen einzusammeln, die ihr nun in ihr Reich folgen, in den großen Mutterschoß der Erde aufgenommen werden, um in Ruhe ihrer Transformation entgegen zu schlummern, so ist dieser friedliche und beruhigende Seelenzug ein schreckliches, furchterregendes Spukgeschehen.
All diese Schauergeschichten konnte die christliche Bevölkerung jedoch nicht davon abhalten, weiter an die Kraft der Holla zu glauben. Lange Zeit wurden die Grabkreuze aus dem Holz des Holunderbaumes, der auf dem Grundstück des oder der Verstorbenen wuchs, gezimmert. Es soll vorgekommen sein, dass ein solches Kreuz wieder ausgetrieben hat.
Noch heute steckt man in Tirol Holunderzweige in die Gräber, verbunden mit der Hoffnung, dass sich frische Triebe zeigen. Das gilt als Zeichen dafür, dass der oder die Verstorbene gnädig aufgenommen wurde. Tote wurden vielerorts auf Holunderreisig gebettet und bei der Totenwache wurde Holundertee getrunken. Der Teebrauch ist gelegentlich heute noch zu finden.
Heilkraft der alten Fruchtbarkeitsgöttin
Die Geschichten rund um die „böse Holle“ können schon damit leicht entkräftet werden, wenn man die Holla näher betrachtet, die in jedem Holunderbusch lebt bzw. ihre Kraft entfaltet. Die alte Fruchtbarkeitsgöttin hat ihn mit großer Heilkraft ausgestattet. Der Holunder gehört seit eh und je zu den populärsten Volksheilmitteln.
Und seit Urzeiten hat sich in der Art der Anwendung bis heute kaum etwas geändert. Hippokrates beschreibt die Pflanze als abführend und harntreibend. Dioskorides beschreibt die Verwendung der Blätter als Auflage bei Furunkeln und die Wurzeln zur Ödembehandlung.
Auch Paracelsus hat die Verwendung von Holunder beschrieben. Man kann vom Holunder fast alles verwenden: Blätter, Blüten, Rinde und natürlich die Früchte. Weil die Konzentration der einzelnen Wirkstoffe unterschiedlich ist, gibt es auch verschiedene Anwendungsbereiche. So haben die Blüten eine schweißtreibende Wirkung bei allen Erkältungskrankheiten wie Grippe, Schnupfen, Bronchitis und Lungenentzündung.
Auch als beruhigendes und schmerzlinderndes Mittel bei Kopf-, Zahn- und Ohrenschmerzen wurde er einst geschätzt. Im Mittelalter wurde aus den Blüten auch das Holunderblütenwasser gebrannt, das bei Geschwülsten, Wassersucht, Leber- und Milzleiden gute Dienste leisten sollte. Das einfache Holunderwasser soll den Stoffwechsel anregen und leicht abführen. Die Beeren, die zu Saft, Mus, Wein und Marmelade verarbeitet werden können, sind reich an Vitaminen und sollen die Abwehrkräfte des Körpers stärken. Weniger ratsam ist es, sie frisch zu essen, weil sie oft Brechreiz und Übelkeit verursachen.
Die Beeren können als Laxantien, Expektorans und bei Neuralgien verwendet werden. Zur Heilung von Rheuma, Neuralgien und Ischias aber wird der Saft empfohlen, der wahre Wunder wirken soll. Die abgeschabte Rinde und die zerkleinerten Wurzeln wurden als wirksame Mittel eingesetzt, um die Harnausscheidung anzuregen. Sie werden auch heute noch bei Harnverhalten und zum Entwässern bei Wasseransammlungen im Körper angewendet. Der Kirchenlehrer Albertus Magnus hat im 13. Jahrhundert gar die Erkenntnis verbreitet, dass die innere Rinde als Abführmittel wirkt, wenn man sie von oben nach unten schabt. Wird sie umgekehrt von unten nach oben von den Zweigen geschabt, wirkt sie als Brechmittel.
Bis heute steht die alte Regel in vielen Kräuterbüchern. Auch Blätter, Rinde und Wurzel haben eine laxierende, emetische und diuretische Wirkung. Bei Ohrenschmerzen wird ein kleines Leinensäckchen mit Holunderblüten überbrüht und warm aufs Ohr gelegt. Zubereitungen aus der Rinde, Wurzel und Blättern sollen nur vorsichtig dosiert werden. Zu große Mengen können Übelkeit verursachen.
Was für die Menschen heilsam war, konnte den Tieren nichts schaden. So versuchten die Bauern in Vorarlberg (Österreich) die Kühe von einer Flechtenkrankheit mit besonderem Ritual zu heilen „Man breche bei Sonnenuntergang vom Holunderbusch drei Sprossen ab, binde sie zusammen und hänge sie in den Kamin. Und so schnell, wie die Sprossen dürr werden, so schnell verschwindet die Flechtenkrankheit.“
Verwechslungen mit dem Zwergholunder (Attich, Sambucus ebulus ) können zu heftigem Erbrechen und zu Durchfall führen, da die emetische und laxierende Wirkung des Zwergholunders stärker sind.
(Anmerkung: Diese medizinischen Informationen sind einem Beitrag von Arne Krüger aus dem Portal http://www.naturheilkunde-online.de/naturheilkunde/fachartikel/holunder.htm entnommen.)
Magische Rituale mit Hollas Holler
Der Hollerbusch war auch der Ort, an dem Menschen mit Holla als magische Heilungsgöttin in verschiedener Form in Verbindung traten: Man vergrub Zähne, Haare und Nägel in seinem Schatten, um so magischem Missbrauch vorzubeugen. Band man einen eitrigen Lappen in die Zweige, konnte der gepeinigte Kranke genesen. Denn durch dieses Ritual wurde dem Baum die Krankheit „angehängt“.
Um kleine Kinder zu schützen, schüttete man ihr Badewasser am Hollerbusch aus. Holunderbüschel, die am letzten Apriltag geschnitten und über die Eingangstür gehängt werden, sollen vor Unglück und bösen Geistern schützen. Das gleiche gilt für Amulette, die aus Holunderholz gefertigt sind. Als gesichert galt, dass ein Mensch vom Rheumatismus befreit würde, wenn er ein Stückchen Holunder auf der Haut trug. Es zeugen unzählige regional unterschiedliche Zaubersprüche davon, dass dem Hollerbaum heilende Zauberkräfte nachgesagt wurden.
So gibt es rund um die Holla allerlei Zaubersprüche: „Weil ich es nimmer mag, hast du’s jetzt Jahr und Tag“. „Zweig, ich bieg‘ dich nieder – Fieber bist mir zuwider.“ „Holunderast, ich heb‘ dich auf; Kopfweh setz‘ dich hurtig drauf.“ Damit sollte erreicht werden, dass der Holunder Krankheiten und auch unliebsame andere Lebensumstände aufnimmt und an die Göttin zur Transformation weiterleitet.
Von der finnischen Haltia und der estischen Holdja sagt man, dass diese in jedem Raum in einem Dachbalken wohnt und von dort der Familie Glück und Gesundheit bringt. Sie ist an das Haus so gebunden, dass sie Flüche über die Familie verhängt, sollte diese ausziehen oder das Haus niederreißen lassen. Die einzige Möglichkeit, sich das Wohlwollen der Göttin weiter zu sichern, ist einen Balken aus dem alten Haus in das neue einzubauen und ein wenig Asche aus dem alten Herd in die neue Feuerstelle zu geben. Auch von Hollersträuchen, die nahe an Häusern wachsen, sagt man, dass diese eingehen, wenn die BewohnerInnen wegziehen.
Holla legt mit dem Schnee die Erde still
Holla kennt jedes Kind. Im Grimm-Märchen „Frau Holle“ schüttelt sie die Betten und lässt es auf Erden schneien. Die weißen Blüten des Hollerbusches werden so in Federn verwandelt und als Schnee auf die Erde geschüttelt. Das weist auch auf ihren Aspekt als Göttin von Tod und Wiedergeburt hin. Holla legt mit dem Schnee die Lebendigkeit auf der Erde still, ruft die Kraft der Menschen, Tiere und Pflanzen in die Tiefe und lässt sie regenerieren.
Die Menschen glaubten auch, die Göttin ziehe im Winter vor allem um die Zeit der Wintersonnenwende über die Erde, begleitet von Schnee und Eis, um mit den die Natur bedrohenden todbringenden Kräften zu ringen, damit die Erde wieder ihre Fruchtbarkeit und neues Leben erhalte.
Heilig sind der Holla die Rauhnächte zwischen 25. Dezember und 6. Januar. In dieser Zeit soll alles ruhen, Spinn- und auch alle anderen Räder sollen sich nicht drehen, an Stelle von Wagen werden daher Schlitten benutzt, die Frauen sollen ihre Hausarbeit sein lassen, auf keinen Fall Wäsche waschen und aufhängen und auch das Mehl soll nicht gemahlen werden (siehe auch Percht).
Der Holunderbaum wird übrigens auch immer als Tor zur Unterwelt gesehen. Wer unter diesem Baum einschläft, wird bald Zwerge, Gnome und Kobolde spüren. In Schweden sagt man, dass man am Mittsommerabend unter blühendem Holunder den Elfenkönig mitsamt Hofstaat erspähen könnte. Auch die weißen Hollerblüten und die schwarzen Beeren verkörpern das Leben und den Tod.
Quellen und Brunnen, Grotten und Höhlen
Besonders liebt Holla Quellen und Brunnen. Ihre Wohnstätten sollen außer dem Hollerbusch auch Grotten, Höhlen, Sümpfe, Teiche, Moore, Quellen und Brunnen sein. Als weiße, strahlende Dame erscheint sie jeden Mittag, um in ihrer Quelle zu baden, von der es heißt, aus ihr werden die Kinder geboren, die die Holla dann bringt. Frauen, die in ihrem Brunnen oder Teich baden, macht sie fruchtbar, daher wenden sich Frauen auch mit Kinderwunsch an sie.
Zur Holla, der Wasserfrau kehren auch die Toten heim. Sie schöpft alles aus dem Wasser, dem Urelement des Lebens. Wollen Sterbliche mit ihr in Kontakt treten, etwa um Rat oder Hilfe zu bekommen, so müssen sie auch bereit sein, in die Tiefe ihrer Gefühle (repräsentiert durch das Wasser) zu tauchen. Dies ist sehr gut durch den Sprung der Goldmarie in den Brunnen veranschaulicht. Wem das gelingt, wer in die mythische Welt der Holla unter dem Wasser gelangt, dem oder der ist ihre „Huld“ gewiss. Allerdings müssen die Menschen wirklich dazu bereit sein, dies aus freien Stücken tun, der Zeitpunkt muss stimmen.
Als Große Mutter, als weise Alte ist sie – wie das Märchen veranschaulicht – eine Initiationsgöttin, zu der junge Frauen gehen, wenn sie das erste Mal bluten. Goldmarie wäscht ja am Brunnen ihre blutige Spindel. Ihre Schwester, die von der Mutter nach der Rückkehr der Goldmarie zur Großen Mutter nachgeschickt wird, war ganz offensichtlich noch zu jung für die Initiationsaufgaben. Der Zeitpunkt, um zur Holla zu gehen, war eindeutig zu früh.
Hintergründe der Märchen-Holle
In dem Märchen werden noch weitere Eigenschaften der Göttin Holla bildhaft festgehalten.
Das Märchen ist vielschichtig und lässt viele Interpretationen zu.
Da ist zuerst einmal der Gang durch die Jahreszeiten. Nach dem Sprung in den Brunnen landen die Mädchen auf einer Wiese, die den Frühling darstellt. Im Backofen befindet sich das Brot, das aus dem Sommergetreide hergestellt wurde, der Baum mit den reifen Äpfel symbolisiert den Herbst und schließlich werden die Federbetten geschüttelt — es schneit und der Winter ist ins Land gezogen.
Der Backofen, aus dem die Mädchen das Brot holen müssen, verweist auch auf Holla als Göttin und Beschützerin des Herdfeuers. Sie sorgt für Nahrung und Wärme. Goldmarie bekommt auch im Hause der Holle jeden Tag „Gesottenes und Gebratenes“, d.h. sie wird im Prozess der Pubertät durch nahrhaftes Essen unterstützt, ihre Kraft zu bekommen.
Der Apfelbaum, der geschüttelt werden will, symbolisiert den Fruchtbarkeitsaspekt. Goldmarie, nun eine junge Frau, schüttelt den Baum und sammelt die Äpfel als Symbol ihrer Fruchtbarkeit ein.
Das Gold schließlich, mit dem Goldmarie überschüttet, wahrscheinlich viel mehr bestrahlt wird, deutet auf das Geschenk einer Licht- und Sonnengöttin hin. Menschen, die nach den Gesetzen der Göttin leben, den Weg des Lichtes gehen, werden von der Göttin mit Erkenntnis und Weisheit gesegnet.
Die Rollen der Goldmarie und der Pechmarie sind im Grunde viel neutraler und als Aspekte der Göttin zu sehen, von denen keiner besser oder schlechter, edler oder minderwertiger anzusehen ist. Durch christlich-patriarchale Einflüsse bekam dieses Märchen und damit die Figuren der beiden Mädchen diesen bekannten moralischen Anstrich mit erhobenen Zeigefinger.
Holla ist die Göttin der Zyklen, der Jahreszeiten, dem Wechsel zwischen Tag und Nacht, zwischen Aktivität und Passivität. Allein die Tatsache, dass das aktive Mädchen mit Gold, das passive Mädchen mit Pech in Verbindung gebracht wird, zeigt sehr eindeutig, dass es sich hier um den Tag (goldener Sonnenschein) und die «pechschwarze» Nacht handelt.
Wie soll der eine Aspekt so aktiv sein können, wenn es nicht den anderen Aspekt der Ruhe und Passivität nicht gäbe?
Natürlich kann das Märchen auch als Initiationsweg eines Mädchens am Beginn ihrer Pubertät gesehen werden:
Goldmarie blutet und wirft die «blutige Spindel» — die als Symbol ihrer ersten Menstruation zu sehen ist — in den Brunnen.
Pechmarie wird von ihrer Mutter geschickt, den gleichen Initiationsweg zu gehen. Sie blutet aber noch nicht und muss sich dafür extra in den Finger stechen und die Hand in die Dornhecke stoßen. Sie ist also noch nicht soweit, sie ist noch Kind und nicht bereit, die Aufgaben auf dem Initiationsweg zu bewältigen und damit Verantwortung zu übernehmen. Pechmarie hat das Stadium der Fruchtbarkeit noch nicht erreicht, ist daher noch „im dunklen Mond“.
Die gängigste Interpretation des Märchens geschieht allerdings bereits unter sehr kommerzialisierten Voraussetzungen. Der alten Volksglauben an die große Göttin, bei dem es um eine Lebenshaltung und um die wertfreie Darstellung der Lebenszyklen geht, wird hier weitestgehend außer Acht gelassen.
Hier hat man eher das Gefühl, Goldmarie bekommt Lohn fürs tatkräftige Zupacken. Der ideelle Lohn wurde in harte praktische Goldtaler umgewandelt.
Es wird im Märchen also nicht das Sein sondern vielmehr das Tun belohnt und gewürdigt. Pechmarie hingegen wird nicht hell bestrahlt sondern mit Pech bedacht. Dies geschieht weniger als Strafe, weil sie faul war (die Göttin unterstützt nämlich Frauen, die auch alle Viere grad sein lassen können) sondern dies entspricht wahrscheinlich viel mehr dem Aspekt der Göttin in ihrer Nacht—, Winter— bzw. Neumond-Energie.
Hollas Name bedeutet ,,die Strahlende“. Deshalb werden bei Festen im Jahreskreis für Holla weiße Speisen hingestellt und sie so eingeladen, mitzufeiern. Schließlich ist da im Märchen auch noch das Tor, das die Mädchen durchschreiten. Tore stehen immer für Übergänge.
Goldmarie schreitet durch das Tor nicht mehr als Kind, sondern als junge Frau. Sie symbolisiert damit nicht nur ihren persönlichen Wandel sondern ist auch Fruchtbarkeits- und Frühlingsgöttin. Sie hat auf ihrer Initiation alle Jahreszeiten durchschritten, ist in die Unterwelt gegangen und kommt nun aus dieser (aus dem Winter) wieder an die Oberfläche.
Als Botin des Frühlings erscheint sie im goldenen Licht der kräftiger werdenden Sonne und alles beginnt mit ihr zu strahlen. Sogar der Hahn (Wetterhahn) freut sich mit ihr.
Pechmarie kann als der gegensätzliche Aspekt verstanden werden. Sie kündigt auf der gegenüberliegenden Seite des Jahreskreises die Dunkelheit an. Jene Zeit, in der auch die Arbeit still steht, in der Frauen nicht so viel arbeiten, wie in der Sonnen beschienenen Zeit ihrer goldenen Schwester.
Dass sie von der Holla mit Pech bedacht wird, ist keine Herabwürdigung oder Strafe sondern kann als ebenso wertvolles Geschenk wie das Gold verstanden werden. Pech gehört zu den ältesten und gebräuchlichsten Hilfsmitteln der Heilkunst. Die Baumharze, aus denen Pech hergestellt wird, enthalten hochwertige ätherische Öle, diese wirken schleimlösend, wassertreibend, durchblutungsfördernd und keimtötend. So wurde in Schmalz aufgekochtes Lärchenpech als besonders wirksames Heilmittel bei frischen und infizierten Wunden angewandt
Darüber hinaus hat Pech viele praktische Eigenschaften — man verwendet es beispielsweise, um Schiffe abzudichten und somit ein Eindringen des Wassers zu vermeiden und zur Isolation von Dächern. Es ist ein gutes Klebemittel, auch als Brennmaterial nahm man den Stoff und tauchte beispielsweise Fackelköpfe in die Pech.
Das Grundmaterial dient den Bäumen als «Wundverschluss». Es wird daher auch erfolgreich in der Gärtnerei verwendet, um z.B. nach einem Baumschnitt, die Stellen zu versiegeln, an denen Äste abgeschnitten wurde.
Das Geschenk, mit dem Pechmarie bedacht wurde, weist sie also als Heilerin aus, als eine, die sich nicht wie ihre goldene Schwester um die profane Hausarbeit kümmert, sondern sich in der Stille sich mit anderen Dimensionen des Seins beschäftigt.
Die „Hymne“ an die Urgöttin
Um mit Holla in Verbindung zu treten, sie um ihre Kraft und Unterstützung zu bitte, gibt es also eine Vielzahl von Möglichkeiten – an Hollerbüschen, mit weißen Speisen, an Gewässern in der Tiefe der eigenen Gefühle.
Darüber hinaus hat es Holla gerne, besungen zu werden. Viele Jodler sind mit ihrem Laut „Hola“ eine Hymne an die Urgöttin.
Ringel, Ringel, Reihe, simma unser dreie, sitzen unterm Hoilerbusch, sagen alle: Husch, husch, husch!
In diesem Kinderspiel hat sich vermutlich ein letzter Rest eines Kulttanzes für die Göttin Holla erhalten. Kreistänze sind immer das Symbol der zyklischen Kraft. Die Zahl drei könnte auf die Kraft der dreifachen Göttin hinweisen. Die Kinder halten sich an den Händen, singen den Reim und tanzen dazu im Kreis. Bei den letzten Worten setzen sie sich auf den Boden, auf Mutter Erde.
Die Göttin Holla verbirgt unter ihrem Busch die Geheimnisse, macht damit auch die Kinder bzw. die Frauen unsichtbar.
auch: Holle, Frau Holle, Hollermutter, Holda, Hulda, Hohe, Hel, Hela, Helga, Helle, Halja, Herka, Haltia (finnisch), Holdja (estisch), Hludana, Frau Harke, Huldra oder Huldre (skandinavisch), Fauta, Brechta, Perchtha, Percht, Wildaberta, Waldina
Das Bild der Holla kann als Replik erworben werden
Hier alle Infos dazu
4 Gedanken zu „Holla – Muttergöttin im alpenländischen Raum, germanische Erd- und Himmelsgöttin, Göttin der Jahreszeiten, Schutz- und Heilungsgöttin“