Die Inuit, die UreinwohnerInnen Alaskas kennen Sedna als die große Alte der Meere, die Königin der Tiefe und der Stürme und die Mutter aller Meeresgeschöpfe.

 Die große Alte der Meere

 

sedna2

Die Inuit, die UreinwohnerInnen Alaskas kennen Sedna als die große Alte der Meere, die Königin der Tiefe und der Stürme und die Mutter aller Meeresgeschöpfe.

Sie ist die Gebieterin über Leben und Tod. Sie erhält die Körper und die Seelen. Sie ist sowohl Schöpferin wie auch grausame Rächerin. Wenn Menschen gegen ihre Gebote verstoßen, vor allem wenn sie das Meer überfischen oder zu junge Tiere erlegen, dann schickt sie Sturm und Unwetter oder zieht Jäger und Fischer samt ihren Familien in die Tiefe.

Die getäuschte Braut

Die Legende erzählt, dass sie einst eine wunderschöne junge Frau war, die aber keinen der jungen Männer, die um sie warben, erhörte. Als jedoch ein Seemöwenmännchen kam, um ihre Hand anhielt und ihr ein gemütliches Zuhause versprach, wo es immer genug zu essen gibt und viele Bedienstete sich um ihr Wohl kümmern, entschied sie sich, mit ihm zu gehen, um bei den Seemöwen zu leben.

Doch bald sie musste feststellen, dass die Versprechungen ihrem Bräutigams leere Worthülsen waren. Statt einem gemütlichen Nest mit gutem Essen und eifriger Dienerschaft gab es dort nur Armut und Dreck. Doch es gab für sie kein Entkommen. In einer anderen Version der Geschichte wurde sie von ihrem Vater gegen ihren Willen mit einem Raben verheiratet, auch bei ihm waren die Lebensumstände auf einer kargen Klippe trostlos und sie schrie ihr Leid in die Welt hinaus.

Als jedoch ihr Vater zum ersten Mal zu Besuch kam und die Lebensumstände seiner Tochter sah, war er sehr entsetzt. Sie bat ihn, ihr zur Flucht zu verhelfen. So schmuggelte er sie aus dem Reich der Vögel, was die Möwen jedoch bemerkten und die beiden in großen Scharen verfolgten. Das war sehr bedrohlich.

Vom Vater geopfert

Um sein eigenes Leben zu retten, wurde Sedna von ihrem Vater über Bord geworfen. Als sie sich verzweifelt fest klammerte und versuchte, ins Boot zurück zu klettern, schnitt er ihre Finger ab. Als sie sich noch mit den fingerlosen Händen festhalten wollte, schlug er auf diese mit seinem Paddel.

Da die Hände von Sedna schon gefroren waren, fielen sie durch diesen Schlag ab sie ein Stück Eis. Finger und Hände verwandelten sich sofort in Robben und Wale, in Seehunde und Delfine. Die verletzte Sedna sank darauf hin auf den tiefsten Meeresgrund und fand schließlich eine verlassene Hütte aus Walknochen und Steinen am Meeresgrund, in der sich ein großen Kessel befand.

Als sie diesen anheizte, kamen aus ihm alle Meereslebewesen. So wurde Sedna zur Schöpferin und Beschützerin aller Meeresgeschöpfe. Stirbt ein Tier, dann kehrt es zu ihr zurück, wird in den Kessel geworfen und bekommt ein neues Leben. Durch diese ständige Vermehrung der Meerestiere sichert Sedna auch das Überleben der Inuit, die zuvor großen Hunger gelitten haben.

Sie wird daher als Gebieterin über die hauptsächliche Nahrungsquelle der Inuit verehrt. Sie lebt als Gebieterin über Leben und Tod immer noch in den Tiefen des Ozeans.

Denn, obwohl sie Nahrungsspenderin ist, ist sie auch eine sehr gefürchtete Göttin. Zum einen kann sie die Nahrung verweigern, was den sicheren Hungertod für das Volk der Inuit bedeutet. Denn es ist allein sie, die darüber bestimmt, welche und wie viele Meerestiere gefangen und gegessen werden dürfen.
Zum anderen überträgt sich der immer noch fortwährende Zorn auf ihren Vater und der Groll über die falschen Versprechen ihres Ehemanns sehr leicht auf die Menschen. Dann wird sie zur mächtigen, tobenden Göttin, die das Meer mit gewaltigen Stürmen aufpeitscht.

Anzeigen

Die schweren Prüfungen auf dem Weg zu Sedna

Deshalb wird sie mit großem Respekt behandelt. Immer wieder müssen SchamanInnen sie (in Trancereisen) besuchen, um sie um ihre weitere Huld als Nahrungsbringerin zu bitten, dies vor allem, wenn eines ihrer Gesetze gebrochen wurde.

Das ist allerdings ein sehr gefährliches Unterfangen, denn alle, die mit Sedna in Kontakt kommen wollen, müssen überaus tapfer und wagemutig sein. Gilt es doch, zuerst jenen Bereich zu durchqueren, in dem alle toten Menschen sind. Dann ist ein Abgrund zu überqueren, in dem sich fortwährend ein alles zermahlendes Eisrad dreht, schließlich verstellt ein heißer Kessel den Weg, in dem Seehundfleisch für alle Ewigkeit schmort.
Den Eingang zu ihrem Haus bewacht ein schrecklicher, Furcht erregender Hund. Kommt man an ihm vorbei, ist schließlich eine weiterer Abgrund zu überwinden und zwar auf einer Brücke, die so schmal wie eine Messerklinge ist.

Bei Sedna angelangt, muss man ihr sofort mit einem Kamm, den man ihr anschließend schenkt, das lange schwarze Haar kämmen und ihr Geschichten erzählen. Das liebt sie und beruhigte sie, schließlich hat sie selbst keine Hände mehr, mit denen sie ihr Haar kämmen kann und sie ist vermutlich tief am Meeresgrund auch sehr einsam.
Erst dann erlaubt sie den Menschen, sich weiter von dem Reichtum des Meeres zu ernähren. Sie beobachtet aber auch genau, wie man ihre Gaben behandelt. Deshalb ist es Sitte, einer gefangenen Robbe Wasser ins Maul zu tropfen als Geste des Dankes an Sedna, die die Nahrung schenkt.

Eines ihrer wichtigen Gebote ist auch, dass die Seelen von geschlachtete Tiere drei Tage lang in deren Körpern verbleiben müssen. Erst dann dürfen sie zu Sedna zurückkehren und ihr über das Verhalten der Menschen berichten. Sie wird entweder als schönen Inuitfrau oder als Furcht erregende Alte meist mit einem Fischschwanz dargestellt. Auf Abbildungen ist sie oft in Begleitung ihrer Schützlinge.

Die Macht der verletzen Göttinnen und Frauen

Sedna ist der Inbegriff jener Frauen, die von Liebhabern, Vätern und anderen Männern getäuscht, verraten, geopfert und verletzt wurden. Frauen, die sich oft so fühlen wie die Meeresgöttin – tief unten im Ozean (ihrer Gefühle) angelangt, ohne die Möglichkeit, zu handeln (Sedna selbst wurden ja die Hände abgeschnitten).

Das sind allerdings oft auch Frauen, die große Macht haben – die «bösen Alten», vor denen alle Angst haben, weil sie die Macht über Leben und Tod, über Nahrung oder Hunger haben – im tatsächlichen oder im übertragenen Sinn (z.B. Nahrung in Form von Zuwendung).
Obwohl sie es oft selbst nicht glauben, sind das oft Frauen, die (wie Sedna) die Regeln bestimmen -in ihrer Familie, im Job, ihrer Nachbarschaft …

Bemerkenswert ist es, dass Sedna, die einsam am Meeresgrund sitzt, den Weg zu ihr so schwer und gefährlich macht. Frauen, die ähnliches erlebt haben, kennen sicher dieses Gefühl.
Erst wenn ganz Wagemutige die vielen harten Prüfungen bestehen und zu ihr durchdringen und ihnen daraufhin sofort Gutes tun, dann werden diese Frauen freundlich und weich.

Sedna lehrt all jene Frauen, die sich mit ihr verwandt fühlen, ihre (Eigen-)Macht und Kraft zu spüren und anzuerkennen. Sich nicht als Opfer oder als Spielball der anderen zu sehen, sondern ihren Zorn, ihre Demütigungen, ihre Kränkungen zu verwandeln.

Sie selbst zeigt es vor: Auch aus den größten Verletzungen kann neues Leben entstehen. Aus ihren abgeschnitten Fingern und Händen sind Tiere entstanden, verletzt hat sie in ihrem Kessel gerührt und Meeresgeschöpfe entstehen lassen.

Sie ist es, die die Regeln bestimmt, sie bestimmt durch ihre Prüfungen, wer sich ihr nähern darf, sie bestimmt, wer von ihr genährt wird und wer nicht …

auch:  Arnakuagsak, Arnaqquassaaq, Satsuma Arnaa (Mutter der Tiefe), Nuliajuk, Arnapkapfaaluk (Große böse Frau), Nerrivik (Tisch), Takánakapsâluk, Takannaaluk

 

Entdecke mehr von artedea

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen