Eshu – Trickster-Göttin im Candomblé

Die Yoruba-Göttin Eshu steht für die wilde, un­be­rechenbare, närrische Energie, sie ist eine Trickster-Göttin. Sie ist eine Täuscherin, eine Gestaltwandlerin und kann ihr Aussehen verändern wie sie will. Sie kann sogar groß und klein, Frau und Mann und Geist zur selben Zeit sein.

 Un­be­rechenbare, närrische Energie

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Die Yoruba-Göttin Eshu steht für die wilde, un­be­rechenbare, närrische Energie, sie ist eine Trickster-Göttin:

Der Candomblé, die afro-brasilianischen Religion der Yoruba in der Eshu beheimatet ist, kommt ursprünglich aus Westafrika, vor allem aus Nigeria. Mit den Menschen, die von dort verschleppt wurden, um in Süd- und Nordamerika als SklavInnen zu arbeiten, zog auch deren Religion mit.

Heute wird Eshu und die anderen Orisha (Gottheiten im Candomblé – auch Orixá genannt) vor allem in Brasilien, Haiti, Kuba und Puerto Rico in einem noch sehr lebendigen Kult verehrt.

Die Göttin des Unvorhergesehenen

Eshu ist verantwortlich für Gelingen oder Miss­erfolg, für Begegnungen und Ent­scheidungen, für Zu­fälle, Unfälle und das unergründliche Schick­sal. Immer, wenn etwas Unvor­her­ge­sehenes ge­schieht, ist Eshu im Spiel.

Dabei handelt sie völlig nach ihrem Gutdünken. Ob sie Menschen be­schenkt oder ihnen Steine in den Weg wirft – besser ist es, humorvoll und zu­rück­haltend zu bleiben, denn Wut und Schmerz, die chaotische Energie regen Eshu zu neuen Höhenflügen an. Sie lehrt neue Sicht­weisen und regt zum eigen­ständigen Neu­denken altgewohnter Ansichten an.

Frau, Mann, Clown, Närrin oder Geist?

Oft wird Eshu als männliche Gottheit angesehen. Da den Eshu-Figuren aber eindeutig primäre männliche Geschlechtsorgane fehlen und sie in einigen Darstellungen mit weiblichen Brüsten zu sehen ist, ist anzunehmen, dass wir es hier mit einer Göttin zu tun haben.

In vielen spirituellen Richtungen und Schöpfungsmythen gibt es eine Göttin, die von Anbeginn an da war, die aus dem Chaos springt – jenem Zustand, in dem noch alles möglich war, der alles Potential beinhaltet und bereithält. Das ist auch die Energie von Eshu, die mit allen Möglichkeiten spielt.

Und daher heißt es auch im Candomblé, Eshu sei die Erstgeborene und damit die Älteste. Allerdings ist sie gleichzeitig aber auch die Jüngste aller Orisha — was veranschaulicht, dass sie einfach nicht einzuordnen ist. Eshu findet ihren Ausdruck auch im Clown bzw. im Narren des Tarot, der ja nicht von ungefähr die Zahl Null hat (= die Leere, der Zustand vor der Schöpfung in dem noch alles möglich und noch nichts manifestiert ist).

Clowns und Narren findet man traditionell eher in männlicher Gestalt. Was möglicherweise darauf schließen lässt, dass Männer diese Energie erst lernen, erst verinnerlichen müssen. Clowns dienen mit ihren Ungeschicklichkeiten, mit dem Spiel mit allen Möglichkeiten, mit dem Umgang mit unvorhergesehen Ereignissen möglicherweise als Vorbilder und Role Models für andere Männer.

Clown-Frauen und Närrinnen kommen vielleicht daher seltener vor, weil man Frauen diese Eigenschaften, dieses Spiel, diese Fähigkeiten eher zutraut. Weil sie der schöpferischen Kraft der Ursprungs- und Chaosgöttinnen näher sind und aus allen Zutaten etwas schaffen können und mit überraschenden oder peinlichen Situationen (in denen sie sich vielleicht auch selbst gebracht haben) im normalen Alltag besser umgehen können als Männer.

Daher lachen wir meistens über männliche Clowns mehr, wenn ihnen etwas passiert und wenn sie darauf mit seltsamen, unkonventionellen Lösungen reagieren. Bei Frauen sind wir diese Vorgangsweise eher aus dem normalen Leben gewohnt und daher ist das zur Schau stellen auch nicht so lustig.

Eshu wird im Candomblé allerdings auch den Geistern zugerechnet, damit kann man sie wahrscheinlich auch nicht in ein bestimmtes Geschlecht einordnen, was typisch für sie ist. Eshu nimmt eine Sonderrolle unter den Orisha ein, sie ist durch und durch unberechenbar.

Sie ist eine Täuscherin (Trickster), eine Gestaltwandlerin und kann ihr Aussehen verändern wie sie will. Sie kann sogar groß und klein, Frau und Mann und Geist zur selben Zeit sein. Sie hat das ernste, würdige Gesicht eines alten Menschen, um gleich darauf wie ein kleines verschmitzt grinsendes Kind auszuschauen.

Ihr widersprüchlicher Charakter wird durch folgende Beschreibung versinnbildlicht: Wenn sie am Boden sitzt, stößt sie mit ihrem Kopf an der Decke an, steht sie auf, so ist sie genau so hoch wie der Teppich.

Im Candomblé wird Eshu auch als Gebieterin über den Lebensweg angesehen. Sie wird daher auch an Straßen, Straßenkreuzungen und Türen angetroffen und verehrt. Sie zeigt den Menschen verschiedene Möglichkeiten, ihren Weg zu gehen, während sie natürlich – ihrem Wesen entsprechen – gleichzeitig versucht, sie von ihrem Weg abzubringen. Dies ist ihre Art, uns zu testen.

Zufälle, Unfälle, Narreteien …

Sie gilt als sehr widersprüchlich und ihre Gaben sind umstritten. Es wird gesagt, dass Eshu die Menschen auf Erden in Versuchung führt und ihre Pläne durchkreuzt, um ihre Seelen zu prüfen.

Das missionierende Christentum sah daher in Eshu ein Äquivalent zum Teufel. Das ist viel zu simpel gedacht. Denn die Prüfungen von Eshu sind nicht darauf ausgerichtet, Menschen auf deren Tugend zu überprüfen und danach zu (ver-)urteilen. Wenn alle Prüfungen der Eshu bestanden sind, hat die Seele viele Erfahrungen sammeln können, die im weiteren Leben positiv verwertet werden können.

Immer, wenn also unvor­her­ge­sehene Dinge passieren, wenn etwas nicht so läuft, wie geplant, wenn alles schief geht, dann ist es daher Zeit, Eshu zu danken. Ganz allgemein verrät uns Eshu eine Menge über die Welt der Yoruba, die kein Gut und Böse kennt.

Sie versinnbildlicht eine Kraft, die Gegensätze annimmt und Verhältnisse auf die Probe stellt. Eshu bekämpft die Selbstzufriedenheit der Menschen. Sie fördert den kreativen Umgang mit den Herausforderungen des Lebens. Menschen, die ein eintöniges, ein gut geplantes und durchdachtes, stabiles Leben ohne Risken und Abenteuer führen, sind nicht die Lieblinge von Eshu. Sie werden von ihr entweder in Ruhe gelassen, dies mit dem Opfer, dass ihre Seelen nicht viele Erfahrungen mitnehmen können. Wenn Eshu an einem solchen stabil lebenden Menschen allerdings Gefallen findet und ihm etwas Gutes tun will, dann fängt sie zu tricksen an, wirft ihn Zufälle, Unfälle, Narreteien vor die Füße.

Wobei Eshu allen Kräften – den positiven ebenso wie den negativen – nahe steht. Sie macht keine Unterschiede, ob sie jemanden die große Liebe, einen Lotto-Sechser oder einen schweren Verkehrsunfall schickt, Hauptsache, der Mensch muss sich einer neuen Situation stellen und mit ihr umgehen.

Kommunikation mit der spirituellen Welt

Deshalb wird sie im hohen Maße respektiert und verehrt. Sie wird daher bei allen Ritualen als erste begrüßt und muss auch als erste ihre Weihegaben erhalten. Eine ihrer Hauptfunktionen ist die Vermittlung von Botschaften der Menschen an die anderen Orisha und umgekehrt.
Da Menschen sich an den Gottheiten, an den Orisha ein Vorbild nehmen wollen, zeigt ihnen Eshu auch die Eigenschaften, das Wesen der Gottheiten.

Was Menschen allerdings mit diesen Botschaften der Eshu machen, wie sie sie umsetzen, ist allerdings eine andere Sache. Eshu hat jedenfalls ihre Freude daran, wenn ihre „Übersetzung“ der Orisha in die Menschenwelt missverstanden wird und Menschen auf groteske Weise die Gottheiten nachzuahmen versuchen.

Sie vermittelt auch zwischen den einzelnen Elementen und den verschiedenen Eigenschaften, die üblicherweise in „gut“ und „böse“ unterteilt werden. Ohne sie ist keinerlei Kommunikation mit der spirituellen Welt möglich. Mit Eshu kann man über sich selbst lachen und be­gegnet missgünstigen Mitmenschen mit einem Grinsen.

Sie lehrt Frauen die Kunst, ohne mit der Wimper zu zucken falsche Tat­sachen vor­zu­gaukeln, in den unterschiedlichsten Rollen aufzutauchen, gerade die, die gerade am besten oder auch am verwirrendsten ist.

„Wenn du sie nicht überzeugen kannst, verwirre sie“ — ist ein Leitsatz, der gut zur Energie von Eshu passt. Mit Eshus Kraft ziehen sich Menschen aus der Patsche und be­kommen die nötige Portion „Galgen­humor“.

Wäre sie eine Wienerin, so hieße ihr Leitsatz wahr­scheinlich: „Den Kasperl kann keiner derschlagen“.

auch: Eleggua, Elegba, Eshú, Echu, Exú

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