Kali – Indisch-hinduistische Große Mutter, Bewahrerin, Schöpferin, Zerstörerin

Kali ist die „Heilige Gebärende“, die Alles-Verschlingende, Mutter des All-en, das „Heilige Wort“. Sie ist eine dreifache Göttin mit den Aspekten des Todes bzw. der Zerstörung, der Bewahrung sowie der Erneuerung und der Schöpfung.

Mutter des All-en

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Kali ist die „Heilige Gebärende“, die Alles-Verschlingende, Mutter des All-en, das „Heilige Wort“. Sie ist eine dreifache Göttin mit den Aspekten des Todes bzw. der Zerstörung, der Bewahrung sowie der Erneuerung und der Schöpfung.

Dies beruht auf dem Glauben, dass ohne Zerstörung nichts Neues entstehen kann, und dass Leben und Tod eine untrennbare Einheit bilden. Kali ist wohl eine der ältesten namentlich nachgewiesenen Göttinnen. Sie sprang aus einer Braue der Göttin Durga, um Dämonen zu vernichten. Als sie aber auch anfing, die Gottheiten zu vernichten (da sie unbestechlich ist, weiß sie genau, wie gering der Unterschied zwischen Dämonen und Gottheiten  sein kann), warf sich Shiva ihr zu Füßen und besänftigte sie, indem er sich ihr opferte.

Formloser Hohlraum – gefüllt mit allem Potential

Sie ist das archetypische Bild der Mutter, die Geburt und Tod bringt, sie ist Schoß und Grab, Lebensspenderin und Verschlingerin ihrer Kinder. Kali gebietet über Zeit und Raum. Sie selbst ist zeitlose Leere. Sie ist die universelle Schöpferin aller Wesen. Sie ist formloser Hohlraum und gleichzeitig gefüllt mit allem Potential. Kali ist allmächtig, alles durchdringend, die absolute Existenz jenseits der Furcht.

Zu Beginn und am Ende der Zeit ist Kali. Sie ist fruchtbarer All-Schoß, am Ende der Zeit nimmt sie wieder ihre dunkle Gestaltlosigkeit an und verschlingt selbst die Zeit. Mit Kali blickt jeder Mensch hinter die Schleier des Todes als physische Rückkehr in den Mutterschoß, als Vereinigung mit Kalis ozeanischem Wesen.

Göttin der ewigen Zyklen

Sie ebnet den Lauf der Ewigen Zyklen, bringt hervor, vernichtet, um wiederzugebären. In all ihrem Tun ist sie voller Weisheit, zuweilen ohne Barmherzigkeit, sie ist das Meer, das alles erschafft und alles verschlingt. Bekannt von Kali ist heute hauptsächlich der gewalttätige Aspekt der Zerstörung.

Damit ist Kali gefürchteter als jeder männliche Gott. Denn die Vorstellung vom zürnenden, strafenden und kastrierten Vater erscheint längst nicht so bedrohlich wie die zerstörerische Mutter – vielleicht weil sie tatsächlich die unerbittliche Allmacht hat. Kali ist der Tanz des Todes, der hinter allem Leben ist, das endgültige Grauen, die endgültige Ekstase. Sie ist der tödliche Tanz zwischen der Antilope und dem Löwen. Einer von beiden muss sterben. Wenn es nicht die Antilope ist, weil sie flüchten kann, dann ist es der Löwe, der verhungert. Sie ist der heilige Kreislauf des Lebens, die unerbittliche, grenzenlose und ungezügelte Energie.

Sie ist die verführerische, schreckliche und wunderbare Mutter Erde. Sie ist pure Realität ohne jede Illusion, sie sucht nicht nach Anerkennung, sie weiß nicht einmal, was das ist. Kali macht bewusst, dass nur durch Zerstörung etwas Neues entstehen kann. Kali bedeutet die göttliche Kraft der Zerstörung und zugleich die Gewährung von Gnade und Vertreibung von Angst.

Kali zerstört das, was den Menschen von seinem göttlichen Ursprung trennt. Die Liebe zu Kali zerstört somit die Todesangst, die den Fortschritt auf dem spirituellen Pfad verhindert. Sie erinnert ständig daran, dass Erlösung nicht erreicht werden kann, so lange Zeit und Raum die menschliche Begrenzungen bilden. Sie zerstört diese Begrenzungen und bringt Freiheit.

Kali’s Furcht erregende Darstellungen

Dargestellt wird Kali meist in ihrem Furcht einflößenden Aspekt. Sie hat schwarze oder blaue Haut, drastisch heraustretende rote Augen und eine herausgestreckte Zunge, die Rajas, das aktive Prinzip in der Natur bedeutet. Ihre leuchtend weißen Zähne symbolisieren Sattwa, die Reinheit. Ihr Rock besteht aus abgetrennten Armen.

Sie selbst besitzt für gewöhnlich vier Arme, die die absolute Dominanz über alle endlichen Dinge symbolisieren. Diese halten je nach Darstellung unterschiedliche Dinge:

Ein Schwert, mit dem Kali das Band der Gebundenheit durchtrennt, einen abgetrennten menschlichen Kopf, was auf die Zerstörung des Egos ihrer AnhängerInnen hinweist, einen stilisierten Dreizack, eine Schlinge, die aus einer Schlange geformt wird und auf die Kraft der Kundalini hinweist, sowie eine Almosenschale, die auch als Blutschale gedeutet werden kann. Eine Hand vertreibt die Furcht und eine wird oft als die Hand interpretiert, die Segen verleiht bzw. spirituelle Stärke fördert. Kali trägt eine Girlande aus 51 menschlichen Schädeln, die die 51 Buchstaben des Sanskrit-Alphabets repräsentieren. Sanskrit ist eine heilige Sprache, die vollendetes Wissen und Weisheit enthält.

Das Wort Kali stammt von dem Wort „kaala“, das sowohl schwarz, als auch Zeit bedeutet. Die Menschen nennen sie Kali – die Schwarze. Kali hat 100 Namen, so heißt es in Indien, aber die Anzahl ihrer Namen ist grenzenlos, denn sie lebt in jedem Menschen, in jeder Ameise.

Ein jeder Stein ist eine Verdichtung ihres Bewusstseins. Sie repräsentiert den Neumond. Totenschädel, Friedhöfe und Blut sind Elemente ihres Kults.

Geboren werden und Sterben in ewigem Fluss

Die Form, in welcher Kali verehrt wird, stammt aus ältester Steinzeit, als noch eine Erd- und Himmelsgöttin verehrt wurde, die alles Leben erschafft und es auch wieder nimmt. Die Menschen jener Zeit lebten im Gleichgewicht der Natur.

Geboren werden und Sterben muss sich in ewigem Fluss die Waage halten, wenn das Leben auf Erden gedeihen soll. Die Welt ist ein ewig lebender Strom, der in unendlichen Zyklen alle Dinge entlässt und wieder aufnimmt.

Frauen können diese zyklische Kraft in ihrem Menstruationszyklus nachvollziehen. Viel später, ca. 1500 Jahre vor unserer Zeitrechnung begannen die Aryas in Indien einzufallen. Dies bedeutete auch das Ende des Matriarchats. Die Aryas lebten in einem strengen Patriarchat. Nur Männer zählten, Frauen waren nur die Begleiterinnen der Männer und der männlichen Götter. Shiva konnte auch da Anerkennung finden, aber nicht Kali in ihrer ursprünglichen Form.

Und es kam noch ärger: Die bodenständige Bevölkerung wurde durch die neuen Herrscher unterdrückt und der untersten Kaste zugeordnet – sie wurden zu Unreinen, Unberührbaren. Der Hass und Groll muss unter jenen Menschen groß gewesen sein, die im Grunde genommen Erben einer viel höhere Kultur waren, als jene Hirtenkultur der Aryas. So wie man es auch heute noch in Tibet sieht, erwartet man daher sich Schutz von einer Furcht einflößenden, schaurig aussehenden Gottheit.

Als die Verfolgten nunmehr zu Kali flehten, suchten sie in ihr nicht mehr die große Mutter, sondern die große Beschützerin. Der schreckliche, dämonische Aspekt von Kali rückte dadurch in den Vordergrund und blieb bis heute erhalten.

Die ursprüngliche Tiefe, das menstruale Blutmeer der Schöpfung, die weibliche Schlange

Kali ist die ursprüngliche Tiefe, das menstruale Blutmeer der Schöpfung. Kali wird auch als Kundalini verehrt, als weibliche Schlange, die sich am Anbeginn der Zeit in einer spiralförmigen Drehung, die der Bewegung der Schöpfung entspringt, dem Chaos entwindet.

Der Name Eva ist möglicherweise aus Kalis Ieva oder Jiva hergeleitet, dem weiblichen Urprinzip der Manifestation, das die „erste manifeste Form“ zur Welt brachte und sie Idam (Adam) nannte. Kali wird auch in Spiralen verehrt, als Bewegung von Tod und Wiedergeburt, als Bewegung hin zum Fluchtpunkt der Formlosigkeit und in eine neue geformte Welt.

Spiralen zählen damit zu den ersten mystischen Symbolen und waren früher oft an Gräbern zu finden. Alle Göttinnen Indiens sind als unterschiedliche Ausdrucksformen der Schöpfungsenergie Shakti oder Devi zu verstehen. Kali repräsentiert den drastischen Aspekt. Ihre drei Augen sehen die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Die drei Aspekte der kosmischen Funktion – Schöpfung, Erhaltung und Zerstörung – geschehen in einer Zeit.

Die InderInnen sagen, wir leben heute im „Kali-Yuga“, dem Zeitalter der Kali, und in Sachen Zeit und Zerstörung gibt sie uns ja wirklich gewaltige Hausaufgaben. In ihrer Dreiheit Jungfrau-Mutter-Greisin, die als Vorstellung etwa neun- bis zehntausend Jahre alt ist, ist Kali die Urmutter aller dreifaltigen Göttinnen und Göttern.

Ihr verdanken die GriechInnen ihre [Moiren], die GermanInnen ihre Nornen, die RömerInnen ihre Parzen. Sogar das Christentum hat ihren Gott gemäß dieser archetypischen Trinität geformt.

Kalis Yoni – das Tor des Lebens

Kali wird auch mit intensiver Sexualität in Verbindung gebracht. Mythen erzählen, dass ihre Yoni auf einen heiligen Hügel nahe Gauhati gefallen ist, wo jetzt der Tempel Kamakhya steht. Die Wände dieses Tempels sind mit kauernden Kali-Abbildungen verziert.

Die Göttin zeigt ihre Yoni, das Tor des Lebens bzw. säugt sie ein Kind. Diese Darstellungen zeigen sie also nicht im ihrem kriegerischen, grausamen sondern in ihrem mitfühlenden, mütterlichen und leidenschaftlichem Aspekt. Das offensichtliche Zeigen ihrer Vulva wird auch als Schutz interpretiert und sind mit jenem der Göttinnen Baubo und Sheela-na-gig zu vergleichen.

Die Gläubigen feuchten einen Finger an und berühren die Glück und Schutz bringende Yoni der Kali. Zahlreiche dieser Yonis auf den Kali-Darstellungen in den Tempeln sind durch die vielen Berührungen tief ausgehöhlt. Als Mutter wird sie auch als das Schatzhaus des Mitleids bezeichnet.

Im Gegensatz zur Vorstellung als bloße destruktive Göttin, ist sie die Quelle aller Arten von Liebe, die durch ihre Mittlerinnen, die Frauen in die Welt strömen. Aus diesem Grund wird Kali auch oft Kali Ma (Ma steht für Mutter) genannt.

Der tantrische Aspekt mit Shiva

Kalis Gefährte ist Shiva, der Gott der Zerstörung. Kali drückt in ihrer Erscheinungsform den energetischen und tantrischen Aspekt der Shakti in besonderer Weise aus. Sie wird oftmals in sexueller Vereinigung mit Shiva dargestellt.

Hauptsächlich bekannt ist die Darstellung, wie sie auf ihrem toten Gemahl Shiva hockt und dessen Eingeweide verspeist, während ihre Yoni seinen Lingam (Penis) verschlingt. Als Bhavatarini, die Erlöserin des Universums steht sie am Ende der Zeiten über ihren von ihr erschlagenen Gemahl, um damit das Ziel der Schöpfung zu erfüllen und den Neubeginn einzuleiten.

Kalis Energie kann nicht kontrolliert werden. Nachdem sie zwei Dämonen getötet hatte, wurde sie betrunken von ihrem Blut und begann wild auf den toten Leibern zu tanzen. Sie tanze sich selbst zur Raserei, bis sie merkte, dass sie Shiva fast zu Tode getanzt hatte. Um sie zu besänftigen, werden ihr täglich schwarze Ziegen geopfert. Sie trinkt Blut und isst Dämonen und Menschen zum Frühstück. Wen sie nicht frisst, den tanzt sie zu Tode.

Im wahrsten Sinne des Wortes – Kali macht Angst und ist für Frauen damit auch eine schwierige Verbündete. Es heißt das Trinken des Blutes der Kali Ma verleihe Unsterblichkeit. Aus einem sehr alten Ritual zu Ehren der Kali stammt der von den ChristInnen für das Abendmahl übernommene Satz „Dies ist mein Blut“.

Mit der Energie von Kali konfrontieren oder verbünden

Wenn Frauen sich mit der Kali-Energie bewusst auseinander setzen, wenn sie mit ihr konfrontiert sind oder sich gar mit ihr verbünden, lernen sie, sich ihren Ängsten zu stellen.

Oft kommt diese Kali-Energie von außen von anderen Frauen. Dies ist für Frauen, die es gewohnt sind, sich in Frauen-Netzwerken aufzuhalten, Frauensolidarität zu leben bzw. feministische Ideen auf ihren Fahnen zu tragen besonders schwer auszuhalten ist. Leichter fällt es vielleicht in solchen Situationen, bei denen es z.B. um Mobbing, um unfaire Auseinandersetzung mit weiblichen Vorgesetzten, um verletzende Behandlung durch Mütter, Schwestern, Töchter geht, in der anderen Frau die Energie dieser Göttin wahrzunehmen. Meist geht es um eine Lernaufgabe, um etwas, aus denen Frauen gestärkt hervorgehen können, wenn sie sich dieser Energie stellen.

Gut ist es, sich die Angst zur Verbündeten zu machen. Sie warnt vor gefährlichen Orten, Situationen oder Menschen.

Kali stellt Fragen:

  • Was genau macht dir Angst?
  • Welchem Dämon begegnest du gerade?
  • Ist er real oder nur ein Hirngespinst?
  • Welche Mittel hast du, ihn zu besiegen?
  • Hindert dich deine Angst daran, den Tanz deines Lebens frei zu tanzen?
  • Was ist das Schlimmste, was dir passieren kann?

Alles, was drohend, unbestimmt, unheilvoll lauert, kann mit Hilfe von Kali ans Licht gebracht werden. Oft ist es ja nicht eine Situation selbst, sondern unsere eigenen inneren Dämonen, unsere Einstellungen, Vorurteile, unsere nicht aktualisierten Erfahrungen, die uns Angst machen.

Den Namen eines Dämons zu kennen, bedeutet Macht über ihn zu haben. Indem Frauen ihre Ängste benennen, schauen sie ihnen ins Gesicht, nur Mut!

Das volle Potential ausschöpfen, die Ganzheit nähren

Wenn Frauen aufgrund von Ängsten vorschieben, etwas nicht tun zu können, steht Kali mit ihrem Schwert da und ist bereit, all das weg zu schneiden, das Frauen daran hindert, ihr volles Potential auszuschöpfen. Kali ermuntert dazu, sich den Ängsten zu stellen, Persönlichkeitsanteile zurück zu erobern und damit ihre Ganzheit zu nähren.

Wer immer sich an etwas Angst beladenes heran wagt, kann feststellen, dass es gar nicht so schlimm war. Es muss ja nicht gleich die Todesangst sein, denen mutige Frauen sich stellen, wenn sie mit Kali tanzen. Sie ist fürs erste auch zufrieden, wenn Frauen die „kleinen Ängste“ in Angriff nehmen und mit deren Bewältigung stärker und mutiger werden.

Geht man allerdings jeder herausfordernden, Angst besetzten Situation aus dem Weg, werden die Prüfungen Kalis immer größer und schwieriger. Kali transformiert das Negative in das Positive, mit ihrem hohen Bewusstsein kann sie kreative heilende Energie erzeugen und hilft dabei, Selbstheilungskräfte zu aktivieren.

Damit ist sie eine sehr aktuelle Göttin – ihr Credo: heile dich selbst und du heilst damit die Welt.

Tanze – haarscharf an der Angst entlang!

Die Kraft von Kali hilft, wenn eine Frau physisch bedroht ist. Kali wird vor allem auch gerufen, wo Frauen zum Ursprung ihrer Macht gehen, ihre pure Essenz erleben, den Herausforderungen des Lebens die Stirn bieten wollen.

Kali flüstert Frauen zu: Fass dir Mut, tanze mit mir, haarscharf an der Angst entlang! Frauen, die si
ch ihren Ängsten stellen, finden in Kali die stärkste Beschützerin, denn nur die Kraft von Kali kann Dämonen töten. Kali kennt den heftigsten Schmerz, das größte Leid, das schlimmste Entsetzen.

Sie ist alles was Menschen fürchten und sie ist gleichzeitig die große Befreierin und damit die am meisten Trost gewährende von allen Göttinnen.

auch: Kali Ma

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