Shekinah ist die Manifestation einer liebevollen mütterlichen Wesenheit, sie kann als die feminine Seite Gottes, als seine Anwesenheit in der Welt verstanden werden. Sie ist wie die göttliche Mutter, der weibliche Aspekt des sonst männlich verstandenen Gottes.
Weibliche göttliche Präsenz
Wir kennen das Judentum als monotheistische Religion mit ihrem patriarchalen Gott, auch Jahwe genannt. Es mag daher vielleicht überraschen, dass von Anfang an eine Göttin eng mit dem Judentum verbunden ist und in verschiedenen Formen bis heute eine wichtige Rolle spielt.
Diese Göttin ist vor allem als Shekhina bekannt, ein talmudischer Begriff, der die Manifestation der Gegenwart Gottes auf Erden beschreibt.
Shekinah bedeutet wörtlich „Sitz Gottes“. Das Wort leitet sich vom Verb שכנ (schakan oder schaken) ab: „sein Lager aufschlagen“, „sich niederlassen“.
Dieser Begriff, der aus der rabbinischen Literatur kommt, bedeutet im übertragenen Sinn „die Gegenwart Gottes“, „die göttliche Gegenwart“.
Im klassischen jüdischen Denken bezeichnet Shekinah also eine Wohnstätte oder Niederlassung der göttlichen Gegenwart, in dem Sinne, dass in der Nähe der Shekinah die Verbindung zu Gott leichter wahrnehmbar ist.
Als die weibliche Präsenz Gottes ist sie jene Kraft, die jedem Menschen innewohnt, die innere Göttin, die weibliche Seele Gottes.
Der weibliche Aspekt des männlich verstandenen Gottes
Shekinah ist ein wichtiger hebräischer Begriff in der Kabbala und in der jüdischen Mystik. Es heißt, dass sie die weiblichen Attribute Gottes repräsentiert. Im Judentum ist Gott männlich gedacht, aber es gibt mit Shekinah auch einen wichtigen weiblichen Aspekt.
Obwohl Shekinah im Hebräischen ein weibliches Wort ist, taucht es vor allem in männlichen oder androgynen Kontexten auf, die sich auf eine göttliche Manifestation der Gegenwart Gottes beziehen, insbesondere basierend auf Lesungen des Talmud. Zeitgenössische Interpretationen des Begriffs Shekinah sehen darin daher allgemein das göttlich-weibliche Prinzip im Judentum.
Sie kann als die feminine Seite Gottes, als seine Anwesenheit in der Welt verstanden werden. Sie ist wie die göttliche Mutter, der weibliche Aspekt des sonst männlich verstandenen Gottes.
Die Bezeichnung wurde erstmals in der aramäischen Form „schekinta“ in den interpretierenden aramäischen Übersetzungen des Alten Testaments , den Targumen, verwendet und kam häufig im Talmud, im Midrasch und anderen nachbiblischen jüdischen Schriften vor.
Die weibliche Natur der Shekinah lässt sich im Hebräischen deshalb so leicht feststellen, weil das Geschlecht des Subjekts im Satzbau eine wichtige Rolle spielt. Im Hebräischen haben sowohl Verben als auch Adjektive eine männliche oder weibliche Form, und viele Namen lassen daher auf das Geschlecht schließen. Und die Texte im Zusammenhang mit Shekinah weisen eindeutig darauf hin, dass sie weiblich ist.
Im zeitgenössischen jüdischen Diskurs bezeichnet der Begriff Shekinah meist das Göttlich-Weibliche oder den weiblichen Aspekt Gottes – Gott als Mutter, Ernährerin, Beschützerin und Mitfühlende. Obwohl der Begriff – von der hebräischen Wurzel „wohnen“ abgeleitet – in der gesamten frühen rabbinischen Literatur vorkommt, bezog er sich in seiner frühen Verwendung allgemein auf Gottes Gegenwart unter den Menschen und hatte keine geschlechtsspezifische Assoziation.
Die Härte des ursprünglichen Judentums mildern
Jahwe als jüdisch-monotheistischer Gott präsentiert das Bild eines strengen, einschüchternden, oft zürnenden und eifersüchtigen Übervaters.
Sein Charakter verlangte geradezu nach einem Wesens wie Shekinah. Ein solches Wesen musste entstehen, um die Härte des ursprünglichen Judentums zu mildern.
Außerdem konnte Jahwe von Menschenaugen nicht gesehen werden, und nur wenige Propheten hörten seine Stimme. Doch fast jede Religion zeigt, dass die Menschen die Nähe zu einer Gottheit suchen. Und das findet der jüdische Glauben nicht in diesem transzendenten Gott. Diese Nähe vermittelt am besten eine weibliche Gestalt.
Shekinah ist daher die Manifestation einer liebevollen mütterlichen Wesenheit, die bereit ist, die Menschheit sogar vor Gott selbst zu verteidigen, sie vermittelt ein Gefühl des Trostes, des Mitgefühls und des Schutzes, das eine väterliche, unsichtbare Wesenheit wie Jahwe seinen AnbeterInnen nicht schenken kann.
Der Gott aus den Wolken in seiner fassbaren und präsenten Ausprägung
Doch wie entwickelte sich ein so komplexes Gebilde? Es begann mit der Veränderung von Gottes Wohnort. In biblischen Zeiten glaubten die Menschen, Gott wohne in den Wolken. Als die IsraelitInnen die Stiftshütte in der Wüste und später den Salomonischen Tempel bauten, stieg Jahwe dem Mythos nach in einer Wolke herab und wohnte dort. Damit wandelte er sich von Jahwe zu Shekinah, seiner weiblichen, fassbaren und präsenten Ausprägung.
Zu Beginn der talmudischen Ära bezeichnete das Wort Shekinah daher den Aspekt Gottes, der unter den Menschen wohnte und mit den Sinnen wahrgenommen werden konnte.
Das Konzept bzw. das Wesen der Shekinah knüpft an uralte Traditionen an und ist eng verbunden mit antiken Göttinnen. Besonders bedeutsam ist hier die kanaanitische Göttin Aschera, die zu Beginn der Besiedlung Kanaans durch die IsraelitInnen oft als Gemahlin Jahwes bezeichnet wurde.
In der Literatur wird sie auch „Heiliger Geist“ genannt, was im Hebräischen ebenfalls eine weibliche Form ist. Als solche taucht sie auch als Sophia auf, die „Heilige Geistin“, der weibliche Aspekt der christlichen Dreifaltigkeit. Sophia ist also die jüngere, christliche Ausprägung der alten Muttergöttin Shekinah.
Mutter allen Seins
Shekinah als der weibliche Aspekt Gottes, wird also als göttliche Schöpfungskraft verstanden, als die Mutter allen Seins, die die gesamte Schöpfung und alles Leben gebar. Wer sonst, als eine weibliche Kraft ist imstande zu gebären?
Doch in der Entwicklung der Menschheit wurde der männlichen Energie immer mehr Macht eingeräumt. Durch das Patriarchat und das Christentum kamen diese, als ganz selbstverständlich verstandenen, Schöpfungsenergien aus dem Gleichgewicht und das Urweibliche wurde zurückgedrängt. Vielleicht aus einer tiefen Furcht vor der weiblichen Urkraft, der Göttin, die sich in allen Frauen wiederfindet.
Die rabbinische Literatur besagt, dass der Glanz der Shekinah die Engel nährt. Gnostische ChristInnen des 4. Jahrhunderts sprachen von der Shekinah als einem „Geist der Herrlichkeit“, in dem Lichtwesen lebten, wie Kinder im Körper oder Haus ihrer Mutter.
Seit Jahrhunderten feiern jüdische Frauen jeden Freitag die Göttin Shekinah während der Schabbat-Feier. Die Frauen zünden weiße Kerzen an und laden die Göttin, die Heilige Braut, ein, in ihre Häuser zu kommen. Sie wird auch bei Schwarzmond gefeiert, dann wenn der Nachthimmel ganz dunkel ist, kann man ihre Präsenz, die das gesamte Universum umfasst, besonders gut spüren. Ihre Anwesenheit wird dann durch Glockenklang angekündigt.
auch: Schechina, Shekkinah, chokma schekijnah