In den antiken griechischen Mythen ist Io als jene Göttin bekannt, die von Zeus in eine weiße Kuh verwandelt wurde. Eine Geschichte, die in den Geschichtsbüchern aus einer patriarchalen Sicht erzählt wird.
Die weiße Kuh
In den antiken griechischen Mythen ist Io als jene Göttin bekannt, die von Zeus in eine weiße Kuh verwandelt wurde. Eine Geschichte, die in den Geschichtsbüchern aus einer patriarchalen Sicht erzählt wird und in der Frauen schlecht wegkommen – entweder als Opfer oder als eifersüchtige, rächende Ehefrau.
Es lohnt sich daher, den Mythos der Io von seinen patriarchalen Überlagerungen zu befreien und einen anderen Blick darauf zu werfen.
Die Geschichte einer Vergewaltigung
Zuerst einmal die Story, wie sie in den Geschichtsbüchern steht:
Io war eine Tochter des Flußgottes Inachos, er war der Sohn von Thethys und Okeanos.
Sie wurde eine Priesterin der Hera.
Io gefiel Zeus und vergeblich versuchte sie, sich dessen Nachstellungen zu entziehen. Als sie wieder einmal vor ihm floh, wurde sie in einen dunklen Nebel gehüllt. Aus Furcht, an einen Felsen zu rennen oder in einen Wasserlauf zu stürzen, hemmte Io ihren Schritt und so konnte Zeus sie überwältigen.
Da sich Zeus sich vor der Rache der Hera fürchtete, verwandelte er Io anschließend in eine schneeweiße Kuh.
Die eifersüchtige Hera, die ihren Göttergatten auf dem Olymp vermisste, ging in suchen und fand ihn schließlich – gemeinsam mit der Kuh. Sie ahnte nichts Gutes und fragte mit leisem Spott: „Seit wann ist mein göttlicher Gemahl unter die Rinderhirten gegangen?“ Hera fragte bohrend nach, aus welcher Zucht diese Kuh kommt. „Sie entstammt der Erde“, log Zeus, „an dieser Stelle ward sie soeben in einer Nebelwolke aus dem Boden geboren.“
Hera forderte die Kuh als Geschenk und Zeus konnte dieses schlecht verweigern, ohne sich verdächtig zu machen.
Hera ließ die Kuh durch den hundertäugigen Wächter Argos bewachen („Argosaugen“). Dieser trieb das Tier durch viele Länder. Dabei kamen sie auch in Io’s Heimat. Dort gab sie sich durch mit den Kufen gemalte Schriftzeichen, ihrem Vater zu erkennen. Leider konnte er nicht helfen und so konnten beide nichts tun, als das Schicksal der Io zu beweinen.
Schließlich überquerte Io auch den Bosporus (griech.: Rinderfurt) und kam so nach Asien. Ihre Flucht führte über Asien bis Ägypten. Letztendlich fiel sie erschöpft am Ufer des Nils nieder. Dort flehten die erschöpfte Io und der reuige Zeus schließlich um Gnade. Und Hera gab Io in Ägypten die menschliche Gestalt zurück.
Hera als Beschützerin
Dass diese Geschichte aus einem patriarchalen Blickwinkel erzählt wird, zeigt schon allein die Tatsache, dass meist nur ihr Vater Inachos, nicht aber ihre Mutter erwähnt wird. Wir kennen allerdings ihre Großmutter väterlicher Seits: Die Göttin Thethys. Allein das zeigt die göttliche Abstammung der Io.
Einige Quellen geben als Frau des Inachos und damit als Mutter der Io Frauen mit dem Namen Melia bzw. Argeia an. Das könnten unter Umständen die Göttinnen Mellonia oder Aergia sein.
Ganz besonders ärgerlich sind die Bezeichnungen, mit denen Io sowie viele ihrer mythologischen Leidensgenossinnen versehen sind. Immer wieder werden diese als „Geliebte des Zeus“ erwähnt. Geliebte wird man allerdings nur im gegenseitige Einverständnis. Und die Geschichten dieser sogenannten „Geliebten“ sprechen eine ganz andere Sprache.
Im Mythos der Io ist es ganz eindeutig, dass es sich hier um eine Vergewaltigung handelt. Io war auf der Flucht vor dem „Obergott“ und wurde besonders hinterlistig und grausam von ihm überwältigt.
Nun kommt Hera ins Spiel: Sie wird immer als die eifersüchtige und grantige Ehefrau des Zeus dargestellt. Eine Rolle, die ihr nicht zusteht!
Lange bevor Zeus in Griechenland bekannt war, verehrten die Menschen in der Ägäis eine kuhäugige (!) Himmelskönigin als oberste Gottheit, die sie Hera nannten. Eine starke, schöne und machtvolle Muttergöttin, eine matriarchale Beschützerin und Förderin von Frauen.
Da Io eine ihrer Priesterinnen war, kann man davon ausgehen, dass Hera nicht auf der Suche nach ihrem „Göttergatten“ war, dessen Missetaten ja hinlänglich bekannt waren. Dass sie die Kuh, in die Io verwandelt wurde, als Geschenk forderte und diese mit „Argusaugen“ bewachen ließ, zeigt ganz eindeutig, dass sie Io vor weiteren Angriffen des Zeus beschützen wollte.
Die Rache der Hera hat ganz offensichtlich nichts mit Eifersucht zu tun, sondern vielmehr damit, was Zeus ständig den Frauen antat und in diesem Fall einer von Heras Priesterinnen, deren Beschützerin sie demnach auch war.
In Ägypten unter ihresgleichen
Offenbar war die Flucht durch viele Länder notwendig, um den Nachstellungen des Zeus zu entgehen. Welch grauenhaftes Frauenschicksal!
Spannend auch der Ort, an dem Io schließlich ankam und an dem sie von Hera wieder zurück verwandelt wurde: Ägypten – ein Land, in dem es zahlreiche Göttinnen in Kuhgestalt gibt, wie Hathor, Isis, Hesat oder Bat. Sie war damit sozusagen unter ihresgleichen. Dort konnte sie endlich sicher sein.
Im Isiskult gibt es interessanter Weise auch Verwandlungsmythen, die sehr an die Geschichte der Io erinnern.
In Ägypten bekam Io auch ihren Sohn Epaphos. Dieser gründete später als König von Ägypten die Stadt Memphis.
Interessant ist die Antwort, die Zeus auf Heras Frage nach der Herkunft der Kuh gab: „Sie entstammt der Erde“. Das könnte auf die Funktion der Io als Erdgöttin hinweisen.
Nach Io ist auch einer der Jupitermonde genannt. Dieses Schicksal teilt sie u.a. mit Europa, Metis, Taygete und Kore. Dass man Jupiter, dem römischen Nachfolger von Zeus, von Monden umkreisen lässt, die die Namen von mythologischen Frauenfiguren gab, die Gewalterfahrungen mit dem „Obergott“ haben, zeugt von besonderem Zynismus.
auch: Jo