Mit hoch erhobenen nach leicht nach hinten gestreckten Armen steht sie da, ruft die große Flut, beschwört die Energien des Kosmos, spendet Segen, greift nach den Sternen. Wir kennen die Göttin des Nils von einer der bekanntesten Statuetten, die es von Frauenfiguren gibt. Tausendfach reproduziert steht sie in Vitrinen, auf Altären, ist sie als Schmuckstück gefertigt, auf Ritualtücher gestickt.
Die Fluten-Beschwörende
Mit hoch erhobenen nach leicht nach hinten gestreckten Armen steht sie da, ruft die große Flut, beschwört die Energien des Kosmos, spendet Segen, greift nach den Sternen. Wir kennen die Göttin des Nils von einer der bekanntesten Statuetten, die es von Frauenfiguren gibt. Tausendfach reproduziert steht sie in Vitrinen, auf Altären, ist sie als Schmuckstück gefertigt, auf Ritualtücher gestickt.
Das Original, eine ca. 30 cm große Figur dieser Göttin aus bemaltem Terrakotta ist in einem Gräberfeld in Oberägypten in der Nähe der ägyptischen Stadt Edfu gefunden worden. Sie entstammt der Negadekultur und wurde ca. 4000 Jahre vor unserer Zeitrechnung in Ägypten angefertigt. Sie ist also älter als die Pyramiden.
Die Grabbeigabe ist sehr gut erhalten und es ist zu vermuten, dass diese kein Unikat war, sondern vielfach hergestellt wurde. Auch in steinzeitlichen Höhlenmalereien in Algerien und auf vordynastischen Gefäßen erscheinen sehr ähnliche Figuren. Interessant ist, dass die weiblichen Figuren dabei immer deutlich größer sind als die männlichen, was darauf hinweisen könnte, dass es sich um Göttinnen und ihre Priester handelt.
Das Geheimnis der alten Göttin
Wen die schöne Frau mit den erhobenen Armen genau darstellt und was ihre Haltung bedeutet, das bleibt ihr Geheimnis und kann nur vermutet werden. Sie hat verschiedene Namen bekommen: Wahrscheinlich stellt die bekannte Figur die Göttin Nathor dar. Sie wird aber einfach auch nur „Nilgöttin“ oder auch „die Vogelfrau mit den erhobenen Armen“ genannt. Vielleicht ist sie aber auch eine Darstellung der Göttin Anqet, der „Umarmenden“.
Sie stellt möglicherweise den Nil als solchen dar, der als mütterliche, nährende Göttin angesehen wurde. Die beiden Arme könnten die zwei Quellflüsse des Nils (der weiße und der blaue Nil) symbolisieren, die dann im Körper der Göttin zum großen Nilfluss zusammenfließen. Ihre hakenförmigen Hände könnten Symbole von Halbmonden sein. Damit steht sie auch für die zyklischen Kräfte. Auch jenen der Frauen.
Die beiden Arme der Göttin werden auch immer wieder als die „Hörner des Uterus“, also die Eileiter und Eierstöcke bezeichnet. Sie stellen möglicherweise auch stilisierte Vogelschwingen dar, weswegen sie auch immer wieder als Vogelgöttin interpretiert wurde. Denn die Kemi – wie sich die Menschen im antiken Ägypten selbst genannt haben – brachten mit der Muttergöttin immer wieder Vögeln in Verbindung. Es gibt daher der bekannten Statuette sehr ähnliche Darstellungen in Tierform, bei denen der Kopf schnabelähnlich nach vorne gezogen ist und die Arme noch mehr an Flügel erinnern.
Vielleicht ist sie mit dieser Vogel-artigen Haltung auch eine Version der Geiergöttin Nechbet. Das Wort für Mutter war im Ägyptischen das Zeichen des Geiers. Wird dieser Vogel bei uns eher nur mit dem Tod in Verbindung gebracht, so hatte er in diesem Kulturkreis auch etwas sehr mütterlich Beschützendes. Möglicherweise stellen die Arme auch Schlangen dar, die heilige Tiere waren (siehe auch minoische Schlangengöttin). Sie ist damit vermutlich die Vogel-Schlangengöttin aus alten Texten, die für Erneuerung und Wiedergeburt steht.
Ruft die Fluten
Mit dieser Armhaltung scheint diese uralte Frauenfigur etwas zu rufen, zu locken – und es wird vermutet, dass die Göttin (oder ihre Priesterinnen) mit dieser Körperhaltung die jährliche Nilschwemme beschworen haben. Bringt diese doch fruchtbaren Schlamm mit sich, der das Land zu beiden Ufern in ein landwirtschaftliches Paradies verwandelt, in dem jährlich sogar mehrere Ernten möglich sind. Der Nil ist somit die Lebensgrundlage, welche eine Besiedlung der Uferregionen überhaupt erst möglich gemacht hat.
Der Beginn der Nilschwemme wurde durch das jeweils erste Auftauchen des Sirius in der Morgendämmerung angekündigt. Dieses Ereignis fand vor 5.000 Jahren jeweils gegen Ende der ersten Julidekade statt.
Als Verkörperung des Sirius (Hundsstern) – der Hauptstern im Sternbild „Großer Hund“ – galt die Göttin Sopdet. Daher werden die Tage, an denen der Sirius sichtbar wird und die Nilschwemme beginnt, auch „Hundstage“ genannt. Ein Begriff, der sich bis in unsere Zeit für die besonders heiße Zeit im Juli und August gehalten hat.
Die Trance-Haltung der Göttin Nathor kann auch das Herabholen der Kräfte des Sirius – der Göttin Sopdet – bedeuten. Man sah die Ereignisse auf der Erde in enger Verbindung mit den kosmischen Kräften.
Um sicher zu gehen, dass die so wichtige Nilflut jedes Jahr wieder kommt, wurden vermutlich zeremonielle Handlungen an den Flussufern durchgeführt, bei denen die Menschen möglicherweise Figurinen der Göttin (oder deren Priesterinnen in Gebetshaltung) in die Erde steckten.
Das Original der Figur der alten großen Göttin befindet sich heute im Brooklyn Museum. Ihre Geste voll der Anmut und der Kraft fasziniert uns noch heute. Sie lässt uns die Kraft der Sterne vom Himmel holen, die Lebensenergien in Fluss bringen, die Magie der Erneuerung und der fruchtbar-nährenden Kraft spüren.
Hole dir das Bild der Göttin Nathor nach Hause
Nähere Infos: artedea-Shop