Hinduistische Göttin der Weisheit, des Lernens, der Wissenschaften und Künste Sarasvati gilt als die älteste Göttin des Hinduismus. Ursprünglich war sie eine Flussgöttin.
Quelle der Inspiration
Hinduistische Göttin der Weisheit, des Lernens, der Wissenschaften und Künste Sarasvati gilt als die älteste Göttin des Hinduismus. Ursprünglich war sie die Flussgöttin des nach ihr benannten Flusses, der in der indischen Antike bekannt war.
Der Fluss Sarasvati soll seinen Ursprung im Himmel gehabt haben und durch alle drei Welten verlaufen sein. Man vermutet, dass seine Quelle im Himalaya war, er durch Pakistan floss und im arabischen Meer mündete. Er trocknete vor etwa 4000 Jahren aus. Vorher soll es einer der großen Flüsse zwischen Sindhu und Ganges gewesen sein, an dessen Ufern sich große kulturelle Zentren befanden und die frühen vedischen Gottheiten geschaffen wurden.
Auch wenn es diesen Fluss heute nicht mehr gibt, wird Sarasvati immer noch mit dem fruchtbaren und reinen Wasser und dem mythischen „Soma“ in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang wird sie auch als Teil der Flussgöttinnen-Trinität zusammen mit Ganga und Yamuna gesehen.
Ihr Name setzt sich aus „Sara“ und „vati“ zusammen. „Sara“ bedeutet „Flüssigkeit“, alles, was flüssig ist, ist „Sara“. Die Endung „vati“ heißt „besitzend“ – also ist Sarasvati diejenige, die im Besitz jeglicher Flüssigkeit ist.
Fließende Gewässer und Strom göttlicher Gnade
Sarasvati steht aber nicht nur für tatsächlich fließende Gewässer, sie repräsentiert vor allem auch den immer fließenden Strom göttlicher Gnade. Sie regiert die Kommunikation und den Intellekt und steht auch für die menschlichen Fähigkeiten zu denken, zu lernen und zu unterscheiden.
Ihre Stimme war der Wasserfall und sie besaß die Macht Berge zu sprengen.
Sarasvati verkörpert alles Wissen, einschließlich der Künste und Wissenschaften. Die Verbindung von Wissen und dem antiken Fluss wird damit erklärt, dass es an seinem Ufer in der Blütezeit der vedischen Kultur viele beliebte Pilgerorte gab und bei den Zeremonien im Zuge der Pilgerreisen viele Hymnen und Mantren entstanden sind. Man bringt in ihren Hymnen das immerwährende Fließen mit dem Fluss inspirierender Gedanken in Verbindung.
Die Vielfältigkeit der Göttin drückt sich auch in ihren unterschiedlichen Bezeichnungen aus: Brami (Wissenschaft), Bharadi (Geschichte), Bhasha (Sprache), Ghi (Stimme) und Vakervani (Wortlenkerin). Ihr Hauptname bedeutet „Harmoniebewirkerin“ oder auch „diejenige, die Essenz (sara) des eigenen Selbst (swa) gibt“.
Es heißt von ihr, sie soll alle Kulturtechniken erfunden haben: zuallererst die Sprache und das Alphabet (Sanskrit). Es heißt auch, Sarasvati soll sich aus der vedischen Sprachgöttin Vach entwickelt haben soll.
Anschließend hat Sarasvati dann die Poesie, die Musik, den Tanz, den Gesang und viele Lieder in die Welt gebracht. Damit diese von ihr inspirierten Werke aufgezeichnet werden konnten, erfand sie die Schrift, ferner die Mathematik, den Kalender und die Magie. Als Personifikation vollendeter Weisheit verleiht sie ihren aufrichtigsten AnhängerInnen diese höchste Weisheit.
Pures Licht der Weisheit
Dargestellt wird die Göttin immer in makellosem Weiß gekleidet und mit einer auffallend weißen Haut. Dieses Weiß versinnbildlicht das Gegenmittel für die dunkle Welt der Unwissenheit. Oft ist sie mit einem Halbmond geschmückt. Sie erscheint immer sehr strahlend — das pure Licht der Weisheit umgibt sie.
Oft wird sie auch als Teil der Göttinnen Triade angesehen, die die drei göttlichen Farben der Vollkommenheit tragen: Sarasvati (weiß), Lakshmi (rot) und Kali (schwarz). Mit Lakshmi gibt es Überschneidungen bzw. auch ein angespanntes Verhältnis. Patriarchal ausgelegt soll dies davon rühren, dass sie beide als Frauen von Vishnu angesehen werden.
Philosophisch gedeutet kann dies als unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Reichtum und Weisheit verstanden werden. Zusammen mit der Göttin Gayatri und der Göttin Savitri repräsentiert Sarasvati die drei Phasen der Sonne im Tageslauf.
Schwan, der Wasser von Milch trennt
Meist wird Sarasvati auf einer Lotusblume sitzend dargestellt. Diese erblüht zu ihrer schönen Form, obwohl sie aus dem Morast des Teiches hervorgeht und symbolisiert ihre feste Etablierung in der Höchsten Realität – unberührt von den schmutzigen Unvollkommenheiten der physischen Welt.
Oft wird sie inmitten eines Sees, dem Urwasser dargestellt, das unter anderem als Symbol für den Beginn der Schöpfung gedeutet wird. Oft wird sie von einem Schwan begleitet, der imstande sein soll, Wasser von Milch zu trennen. Dies bedeutet, dass er zwischen guten und von Herzen kommenden und unaufrichtigen Taten unterscheiden kann.
Ihre Begleittiere sind auch die Gans und in südindischen Darstellungen auch ein Pfau. Sarasvati hat vier (in manchen Darstellungen auch acht) Hände. Sie hält die heiligen Schriften in einer Hand und eine Lotusblüte in der anderen.
Mit den anderen zwei Händen spielt sie indische Laute (veena). Die Lotusblüte in ihrer Hand symbolisiert das letztendliche Ziel menschlichen Seins: Selbstverwirklichung. Das heilige Buch und die Laute, die sie in ihrer anderen Hand hält, weisen auf den Pfad des Wissens und den Pfad der Hingabe, über die der Mensch sein Ziel erreichen kann.
Die vier Hände repräsentieren auch die vier Aspekte der menschlichen Persönlichkeit: Geist (manas), Intellekt (buddhi), ego (ahamkara), sowie konditioniertes Bewusstsein (chitta). Es gibt von ihr auch Darstellungen, auf denen sie eine Mala (Gebetskette), einen Wassertopf, ein Rad, eine Keule, eine Muschel oder Glocke, eine Sanduhr und Schädelschale in den Händen hält.
Der geteilte Mann
Das bedeutet, dass Sarasvati als personifizierte Weisheit die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen vollständig beherrscht. Der Brahmanismus übernahm Sarasvati und dichtete ihr die Legende an, dass sie sich mit Brahma, dem Schöpfergott vermählte haben soll und all seine Frau Mutter der gesamten Schöpfung war.
Tatsächlich ist sie wesentlich älter als der Kult des Brahma. Es gibt die Geschichte, dass der Gott Brahma das Verlangen hatte, die Schöpfung hervorzubringen. Dazu begab er sich in Meditation. Daraufhin teilte sich sein Körper in eine männliche Hälfte und in eine weibliche – Sarasvati. Erst diese weibliche Kraft konnte die Schöpfung bewerkstelligen.
Als Sarasvati später einmal bei einem wichtigen Ritual nicht zugegen war, aber eine Frau benötigt wurde, teile sich Brahma abermals und schuf seine „Zweitfrau“ Gayatri, um das Ritual durchzuführen. Als Sarasvati zurückkam und davon erfuhr, verdammte sie ihren Mann dazu, nur noch an einem einzigen Tag im Jahr verehrt zu werden.
In alten Schriften erscheint sie Brahma oft untergeordnet. In der Glaubenspraxis jedoch gilt die Anbetung hauptsächlich ihr, während die Verehrung des Brahma weitgehend ausgestorben ist. Was logisch erscheint, weil es ja immer die weibliche Seite des Göttlichen war, die wichtig war und etwas bewirken kann – bei der Schöpfung und bei jedem einzelnen Ritual.
All diese Mythen deuten jedenfalls auf die Macht und schöpferische weibliche Kraft hin, ohne die die Welt und alles, was in ihr existiert nicht geschaffen werden kann. Sarasvati wird nicht nur im Hinduismus verehrt. Auch im Buddhismus und im Jainismus hat sie ihren Platz. Im Buddhismus gilt sie als Göttin der Gelehrsamkeit und Unterweisung. In Japan wird sie mit Benzaiten gleichgesetzt.
Magische Mitteln, mit denen man die Welt verändert
Sehr interessant ist die Verbindung aller Wissenschaften, wie Sprache, Schrift, Mathematik und Musik mit Magie. Sind doch all diese Gaben der Sarasvati magische Mitteln, mit denen man die Welt verändern, verzaubern, transformieren kann.
So kommt z.B. durch ihre Worte alles in die Welt, was gerufen wird. Während der Feiern zur Verehrung der göttlichen Mutter – dem Vasant Panchami im Frühjahr und dem zehntägigen Navaratri-Festival im Herbst – legen die Menschen, vor allem die Studierenden, Bücher, Schreibzeug und Musikinstrumente vor ihr Bild, damit ihre Weisheit hineinfließen möge und um ihre Gnade und ihren Segen zu erhalten.
Vasant Panchami ist der höchste Feiertag der Göttin. Er wird am fünften Tag (Panchami) des Hindumonats Magha (nach modernem Kalender Januar/Februar) gefeiert. Es wird nicht nur die biologische Fruchtbarkeit der Göttin gefeiert, die zu Vasantpanchami, dem Beginn des indischen Frühlings, sichtbar wird. Die schöpferische Kraft wird in allen ihren Aspekten deutlich, in Wissenschaft und darstellender Kunst ebenso wie in Musik und Literatur.
Daher werden schon Wochen vorher sehr kunstvoll große und kleine Figuren der Göttin hergestellt, meist aus Lehm oder Gips, die man dann auf allen Märkten und an den Straßenecken kaufen kann. Wird die Figur dann mit einem Büschel Gras und einigen Reiskörnern die Herzgegend berührt, so gilt sie als lebendig. Fast überall tragen Frauen an diesem Tag nach Möglichkeit gelbe Saris, so gelb wie die nun blühende Senfsaat auf den Feldern.
Besonders in Bengalen ist es Sitte, dass kleine Kinder an diesem Festtag das erste Mal in ihrem Leben einen Buchstaben schreiben. Andere schreiben mit „weißer Tinte“ (Milch) Segenssprüche oder ein „Om“ in ihre Bücher.
Am Ende der Feiern wird die Göttin zu einem naheliegenden Fluss getragen – um sie ihrem Element, dem Wasser zu übergeben.
Studierende verehren die Göttin aber nicht nur im eigenen Heim auf dem Altar. Jedes Jahr werden in Schulen und Universitäten kleine oder große Altäre aufgebaut. Nicht selten formt man einen Berg und dekoriert diesen mit weißen Wattebäuschchen als Schnee, als Erinnerung daran, dass die Göttin aus den schneebedeckten Bergen des Himalaya kam.
Die Energie von Sarasvati fließt durch dich, genau in dem Moment, in dem du dich entschließt, eine kreative Lösung zu finden, einen Plan schmiedest, eine Inspiration hast. Immer wenn eine Idee Form annimmt, kann man sie als inneren Impuls finden.
Verbindungen zwischen scheinbar Unvereinbarem
Ihre Energie ist viel tiefgründiger als normale Denkvorgänge. Ihre Wellen formen sich im Tiefen, Stillen — lang bevor ein Gedanke, eine Idee an die Oberfläche, ins Bewusstsein kommt.
Der antike Fluss Sarasvati wird in den Hymnen auf die Göttin als sehr mächtig beschrieben, als unkontrollierbarer, reißender Strom, der sich seinen Weg trotz größter Hindernisse bahnt. Und so kann auch die Kraft dieser Göttin verstanden werden: Wenn Gedanken in Fluss kommen, ein Schaffensprozess im Gange ist, dann kann diese Kraft durch nichts und niemanden mehr aufgehalten werden, dann bahnt sie sich ihren Weg.
Die vielleicht wichtigste Magie der Sarasvati ist es, Verbindungen zwischen scheinbar Unvereinbarem herzustellen. Das ist Intelligenz in ihrer besten und höchsten Form. Das Mittel, das sie dafür zur Verfügung stellt, ist die Sprache, die ja eigentlich verbinden und nicht trennen sollte.
Sie pulsiert in dem kurzen Moment der Stille, bevor ein Ton entsteht, ein Wort gesprochen wird, wo aus der Ruhe heraus Kreativität geboren wird. Es ist gut, sich der Gunst von Sarasvati zu versichern, wenn man lernen und forschen will, Inspiration braucht, sich Wissen aneignen oder kreative Prozesse in Gang bringen will.
Da sie ursprünglich eine Göttin des Wassers war, sorgt sie dafür, dass alles im Fluss bleibt, Wissen in Menschen hinein und (transformiert oder angereichert) wieder aus ihnen heraus fließen kann.
Hier liegt auch das Geheimnis, wie man sich am besten mit der Energie dieser Göttin verbindet: es geht darum, sich umfluten, durchschwemmen zu lassen. Um diese Erfahrung zu machen, sollte man dies immer wieder von richtigem Wasser erfahren – ein Bad in einem kühlen Bach, Tätigkeiten, bei denen die Körperflüssigkeiten so richtig in Aktion treten können, ein Glas Wasser zu Ehren der Göttin, wenn gerade der Gedankenfluss unterbrochen ist – all das soll Wunder wirken.
auch: Saraswati, Bharati