Vor 5000 Jahren war Inanna als Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit aber auch des Krieges, die weibliche Zentralfigur des sumerischen-mesopotamische Pantheons.
Die in ihr tiefstes Innere Hinabgestiegene
Vor 5000 Jahren war Inanna als Göttin der Liebe, der Fruchtbarkeit aber auch des Krieges, die weibliche Zentralfigur des sumerischen-mesopotamische Pantheons. Sie repräsentiert die mütterliche Figur der dreifachen Großen Göttin, deren jungfräulichen Aspekt als Nana und jener der Unterweltsgöttin als Ereshkigal bekannt ist.
Sinnbild für den Ursprung des Lebens
Inanna symbolisierte das gebärende Element, war Ausdruck der Fruchtbarkeit von Mutter Natur und somit ein Sinnbild für den Ursprung des Lebens. Damit ist sie für das Gedeihen der Vegetation ebenso verantwortlich, wie für den Ackerbau, die Viehzucht und nicht zuletzt die Fortpflanzung des Menschen. Sie lässt das Korn sprießen, die Herden gedeihen und das Kind im Mutterleib wachsen.
Bekannt von ihr sind mehrere Darstellungen: Zum einen als nackte Göttin, die ihre Brüste hält, um Milch zu spenden (siehe auch Ischtar, die ebenso dargestellt wurde). Es heißt, Inanna schuf mit ihrem Blut alle Gewässer der Erde und ermöglicht damit alles Leben. Zum anderen zeigt sich ihr fruchtbarer Aspekt in einer Darstellungen auf einem Relief, wo sie eine Hörnerkrone trägt, aus ihren Schulter wachsen Pflanzen, vor ihrem Schoß hält sie eine üppige Traube von Datteln.
Durch ihre Hörnerkrone und dem milchspendenden Aspekt kann sie auch aus eine Kuh-Göttin verstanden werden, von denen es sehr viele auf dieser Erde gibt.
Eine andere Darstellung wahrscheinlich Inanna zeigt, findet sich auf einem Terrakotta-Relief aus Sumer (Burney-Relief um 1950 v.u.Z.). Die Göttin auf diesem Relief wird allerdings wahlweise auch als Ischtar, Anath oder Lilith interpretiert. Sicher ist, dass hier eine Urmutter zu sehen ist, die für alle der genannten Göttinnen gleichermaßen gilt.
Die Attribute dieser geflügelten Göttin weist sie jedenfalls als Gebieterin über Himmel, Erde und Unterwelt aus. Ein Mischwesen aus Vogel und Mensch hält die Schlüssel des Lebens in ihren Händen (man beachte die Ähnlichkeit mit einem ägyptischen Ankh) – dies deutet auf das Erdendasein hin.
Die mehrfache Hörnerkrone, die auch als Mondkrone interpretiert wird, weist auf eine mächtige (Himmels-)Göttin hin. Die herabhängenden Flügel und die Vogelkrallen statt menschlicher Füßen sind das typische Symbol einer Unterweltgottheit. Das aufwändige Halsband passt zu anderen Beschreibungen von Inannas Schmuck. Die Göttin steht auf zwei liegenden Löwen und wird flankiert von zwei Eulen. Innana hatte der Überlieferung nach einen Löwenthron. Die Eulen könnten auf die (von Enki gestohlene) Weisheit schließen lassen.
Da es keine Bildbeschreibung gibt, muss offen bleiben, wen oder was das Burney-Relief wirklich darstellt.
Die mythische Hochzeit zwischen Inanna und Dumuzi
Wenn die Göttin Inanna mit einem Sterblichen die Zeremonie der Heiligen Hochzeit vollzieht, so wird er zum König, bzw. wurde der Herrscher von göttlicher Seite für ein weiteres Jahr in seiner Regierung bestätigt, indem ihm Inanna (oder die Göttin vertreten durch eine ihrer Priesterinnnen) ihre sexuelle Gunst erwies und nicht der Verdammnis preisgab. Damit war auch dem Land die Fruchtbarkeit gesichert.
Zurückzuführen ist dieses Ritual auf die mythische Hochzeit zwischen Inanna und dem Hirtenkönig Dumuzi. Davor hatte die Göttin übrigens zwei Liebhaber, den erwähnten Hirten Dumuzi und den Bauern Enkiddu. Die beiden umwarben sie heftig und brachten auch immer wieder Geschenke – Enkiddu allerlei landwirtschaftliche Produkte und Dumuzi weiche Wollstoffe. Hier spiegelt sich offenbar der Kampf zwischen den neuen Fertigkeiten der Landwirtschaft und der alten nomadischen Kultur der Rinder- und Schafhirten.
Vorerst gewann noch Dumuzi, der Hirte mit seinen weichen Fellen die Gunst von Inanna und wurde so zum König über das Land, über das sie ihre mütterlich-göttliche Hand hielt. Dies hat offenbar auch einen sehr realpolitischen Hintergrund: Für die sumerische Ackerbaugesellschaft war eine Verbindung mit der Nomadenkultur der umliegenden Steppen wichtig, bedeutete eine solche Freundschaft mehr Sicherheit für die Landwirte. Damit dehnte sich auch der Einflussbereich der Göttin-Königin erheblich aus.
Neben diesem mütterlich-verantwortungsvollen Aspekt hat Inanna aber auch noch eine ganz andere Seite, jene der unersättlichen, begehrenswerten, immer in neuer Liebe erglühenden Göttin.
Die heilige Hochzeit ist daher durchaus kein Formalakt, sie begehrt ihren Bräutigam Dumuzi heiß, was sich darin äußert, dass sie ihm höchst erotische Liebeslieder singt: „Meine Vulva, das Füllhorn, schön wie der Mond, das Himmelsboot, ist voller Sehnsucht. Mein Schoß ist voll Begehren wie das falbe, ungepflügte Land. Ach, wer wird mir meine feuchte Aue pflügen? Wer wird mir meine Vulva pflügen?“
Obwohl sie von Dumuzi sagt: „Er ist der, den meinen Schoß am meisten liebt“, ist sie dennoch auch eine unabhängige und nicht zu bindende Liebhaberin. Als Göttin der Liebe steht sie auch für unbändige Begierde und Leidenschaft. 120 Männer konnten sie nicht ermüden, berichtet man von Inanna.
Nicht Fruchtbarkeit sondern erfülltes Sexualleben als Wunsch der Frauen
Die Betonung des sexuellen Aspektes anstelle der Fruchtbarkeit kann als vorpatriarchalische Einstellung der Frauen gesehen werden – einer Kultur- und Menschheitsepoche, in der nicht Fruchtbarkeit der Hauptzweck einer Frau ist, in der deren „Wert“ sich nicht allein aus der Zahl der von ihr geborenen Kinder ergibt, einer Gesellschaft, in der die Frau dem Mann nicht unterlegen ist und in der nicht Fruchtbarkeit sondern ein erfülltes Sexualleben der Wunsch der Frauen war.
Daraus erklärt sich auch, dass der Tempelkult für Inanna stark sexuell geprägt war. Berühmt-berüchtigt waren die Priesterinnen der Inanna, die Babylon die biblische Bezeichnung „Sündenbabel“ brachte. Diese vollzogen in Inannas Tempeln ihre Dienste im Sinne der sinnesfreudigen, selbstbewussten Liebesgöttin.
Im Gegensatz zu Prostituierten, wie unsere Zeit sie kennt, diente dies nicht irgendeinem Profitstreben, sondern kam der Göttin zugute. In diesen stark erotisch gefärbten rituellen Handlungen (sie gehört zu den geheiligten Schätze, die Inanna ihrem Vater Enki, abgeluchst hat) zeigt sich das alte Wissen um die Macht, Wirksamkeit und Heiligkeit der sexuellen Kraft.
Leidenschaftliche Löwin der Schlachten
Diese Leidenschaftlichkeit bildet schließlich die Verbindung zu ihrer zweiten göttlichen Funktion, jener der Kriegsgöttin. Da wird Inanna als die rasende Kriegsherrin, als Löwin der Schlachten beschrieben. Kriege wurden als „Tanz der Inanna“ bezeichnet.
Möglicherweise spielte hierbei auch die Beobachtung des Sexualverhaltens der Katzen und Raubkatzen eine Rolle – geschmeidig und erotisch in ihren Bewegungen, aber auch grausam und todbringend. Charakteristisch ist, dass sie sich zunächst auffordernd und verführerisch vor dem von ihnen auserwählten Partner hin- und herwinden, ihn jedoch unmittelbar nach Abschluss des Liebestreibens mit ausgefahrenen Krallen angreifen und versuchen, ihn ernsthaft zu verletzen.
Die dualen Welten der Göttin
Mit all dem ist sie im direkten Sinne dual, denn sie ist nicht nur Inbegriff von Sinnlichkeit und Mutterschaft, sondern auch Göttin von Himmel und Erde, Empfängnis und Geburt, Kampf und Tod. All dies sind Pole, zwischen denen sich das Wirken Inannas vollzieht.
Darüber hinaus wird Inanna sowohl als Morgen- als auch als Abendstern verehrt. Als Morgenstern wurde sie mit der Sonne in Verbindung gebracht, weshalb ihr in dieser Rolle die männlichen Attribute zugeschrieben wurden; als Abendstern entsprechend wegen der Gleichsetzung mit dem Mond die weiblichen Eigenschaften.
Das Wirken von Inanna kann auch durchaus als politisch und staatstragend beurteilt werden. Sie überlistete ihren Vater (bzw. Onkel) Enki, den Gott der Weisheit. Dieser ist auch als Gefährte der Göttin Ninhursanga (möglichweise ein Aspekt der Inanna) und von daher als eher übler Zeitgenosse bekannt. Auf jeden Fall waren die göttlichen Kräfte Me sein eigen. Diese sind auch als die hundert Tafeln des Schicksals bzw. als hundert Gegenstände der Kultur (offenbar der Förderung der Zivilisation dienliche Dinge) bekannt. Enki hielt diese versteckt und wollte sie nicht den Menschen zur Verfügung stellen.
Wie Inanna die göttlichen Kräfte stahl
Inanna aber will diese Fähigkeiten den Menschen bringen und damit viele ihrer eigenen geistigen Qualitäten über die menschliche Frauen auf die Erde übertragen. Inanna reist also zu Enki nach Eridu und wird von ihm als hoher Gast bewirtet. Sie trinkt mit ihm Bier – viel Bier.
Da sie auch die Göttin des Bieres ist, ist sie offenbar trinkfester und trinkt sie Enki zunehmend unter den Tisch. Der Gott der Weisheit ist Inanna nicht wirklich gewachsen, denn nach und nach luchst sie ihm alle seine Macht und alle seine Schätze ab. Schwankend vor Trunkenheit (wohl eine Mischung aus dem Bier und der berauschenden Anwesenheit der erotischen Göttin) spricht er also: „Der schönen Göttin Inanna werde ich alles geben – die Göttinschaft und das Hohepriesterintum von Sumer, die Krone und den Thron über das ganze Land.“
Weiters: „Der schönen Göttin Inanna gebe ich die Erkenntnis der Wahrheit – durch die Kunst der Liebe, die Feier der Heiligen Hochzeit, durch ihren Abstieg in die Unterwelt und ihre Wiederkehr aus der Unterwelt.“
Dies ist ein interessanter Aspekt, der wohlgemerkt schon 5.000 Jahre alt ist: Die Wahrheit, die durch Liebe, den Abstieg und wieder Aufstieg aus der Unterwelt erlangt wird. Darüber hinaus erhält sie von Enki die Macht über das Schicksal, sie wird von ihm ermächtigt, die Gestirne zu regieren und die Herzen aller Menschen in Freude und Trauer zu bewegen.
14 Mal prostete Enki der Inanna zu, 14 Mal nimmt sie seine Geschenke an und damit ist sie im Besitz all der göttlichen Kräfte der Weisheit, der Wahrheit und des Schicksals und die Macht über das gesamte Land. Dann lädt sie – während Enki seinen Rausch ausschläft, alles in ihr Himmelsboot und fährt davon.
Obwohl der vom seinem Rausch erwachte Enki seinen Wesir, 50 Riesen, 50 Ozeangötter und zahlreiche andere Kreaturen hinter Inanna herhetzt, schafft er es nicht, die Me zurückzugewinnen. Denn Inanna, nun mit den Zeichen der Macht ausgestattet, vermag diese immer wieder erfolgreich gegen ihre Verfolger einzusetzen. So brachte sie diesen Schatz von Enkis Stadt Eridu an ihren Lieblingsort, die damals noch machtlose Stadt Uruk. Damit war der Verfall der Stadt Eridu besiegelt und Uruks Blüte begann.
Hinter diesem Mythos stehen wohl reale historische Ereignisse, denn Inanna hatte im sumerischen Reich eine überliefert hohe Stellung. Hier wird auch der Unterschied zwischen weiblicher und männlicher Weisheit deutlich: Während er nur ein greiser Hüter von Wissen und Gesetzen ist, die auf Tafeln festgehalten sind, ist sie daran interessiert, dass all das belebt wird. Kraft ihrer erotischen Ausstrahlung, ihrer Trinkfestigkeit und ihrer unverfrorenen Schlauheit bringt sie den großen Schatz dieses Wissen den Menschen.
Ein Thema, das sich im Alten Testament der Bibel wiederfindet, schließlich will auch Eva die Früchte des Baumes der Erkenntnis, die bislang nur dem Gott zur Verfügung standen, zur menschlichen Verfügung stellen. In beiden Fällen ist ein männlicher Gott der schöpferischen weiblichen Kraft jedenfalls unterlegen.
Der Gang in die Unterwelt
Inanna wird allerdings nach dieser Tat als stolze Göttin mit unbedingtem Herrschaftswillen um nicht zu sagen, von unersättlicher Machtgier geschildert. Dies führte auch zum bekannten Mythos von „Inannas Gang in die Unterwelt“. Die Göttin wollte nicht nur im Himmel und auf Erden, sondern auch in der Unterwelt herrschen (man kann sagen, dass die erfolgreiche Strahle-Frau etwas größenwahnsinnig geworden ist).
Inanna, Göttin des „Großen Oben“, hat alles erreicht, was zu erreichen war: Nun steht ihr also der Sinn auch nach dem „Großen Unten“. Zu diesem Zweck steigt sie in die Unterwelt hinab, um mit ihrer Schwester Ereshkigal, der Göttin der Unterwelt zu kämpfen.
In einer anderen Version, dem mehr als 5000 Jahre alten bekannten sumerischen Inanna-Ereshkigal-Mythos zufolge, hatte sich die Göttin Inanna in den Hirten Dumuzi (babyl. Ischtar und Tammuz) verliebt. Das Glück endete, als Ereshkigal den Dumuzi in ihr dunkles Reich lockte. Kaum war das geschehen, da welkten die Blumen, das Vieh und die Menschen hörten mit der Liebe auf.
Inanna wollte ihren Geliebten aus der Unterwelt holen. Schließlich gibt es da natürlich auch den Reiz, durch den Gang in die Unterwelt die Erkenntnis der Wahrheit zu erlangen. Aus welchem Grund Inanna auch immer den Gang in die Unterwelt antrat, sie musste dabei an jedem der sieben Unterwelttore Insignien ihrer Macht ablegen, nacheinander Krone und Obergewand, Ohrgehänge, Halskette, Brustschmuck, Edelsteingürtel, Spangen von Händen und Füßen und Untergewand.
Als sie nackt am siebten Tor stand, warf sie sich auf Ereshkigal. Diese dachte aber nicht daran, sich der Innana oder des Dumuzi zu erbarmen und schlug sie stattdessen mit sechzig Krankheiten. Damit erlischt auch (vorläufig) endgültig alle Fruchtbarkeit auf Erden. Inanna erkennt, dass sie gegen ihre Schwester bzw. gegen ihre tiefsten, dunkelsten, wildesten und abgründigsten Wesensanteile keine Chance hat.
Verrottendes Stück Fleisch auf einem Haken
Nachdem Inanna die Macht der Ereshkigal anerkannt hat, wird sie von dieser getötet und – als verrottendes Stück Fleisch – auf einen Haken an die Wand gehängt. Nach drei Tagen hebt die treue Gefährtin der Inanna, die Amazone Ninschubur einen Klagegesang an. Sie verlangt von den anderen Gottheiten, dass sie ihr helfen, die Große Göttin wieder aus der Unterwelt zu befreien.
Doch diese hatten so großen Respekt vor dieser Macht und argumentierten, dass Inanna schließlich freiwillig den Gang in die Unterwelt angetreten ist. Schließlich ist ausgerechnet Inannas alter Verwandte Enki dazu bereit, zu helfen. Er kratzt sich den Schmutz unter seinen Fingernägeln hervor und formt daraus zwei Fliegen. Einer gibt er die Speise des Lebens, der anderen das Lebenswasser mit.
Diese Fliegen gelangen durch ein Schlüsselloch in die Unterwelt und beginnen, mit Ereshkigal zu verhandeln. Diese bietet ihnen allerlei Geschenke an, doch die Fliegen verlangen beharrlich das tote Stück Fleisch, das da an der Wand an einem Haken hängt. Schließlich gibt sie ihre Schwester Inanna frei und die Fliegen bestreuen sie mit der Speise des Lebens und bespritzen sie mit dem Lebenswasser, sodass Inanna den Rückweg in das Reich der Lebenden antreten kann. Ereshkigal verlangte aber, dass jemand anders den Platz von Inanna einnehmen müsse.
Die Entscheidung, wer dies sein sollte, fiel Innana anfänglich sehr schwer, weil sie bei ihrem Aufstieg aus der Unterwelt merkte, wie sehr ihre Kinder und Dienerinnen sie betrauerten. Schließlich kam sie zu ihrem eigenen Palast, in dem Dumuzi, ihr Mann, mit den Zeichen ihrer Macht geschmückt auf dem Lapislazuli-Thron saß. Er trauerte nicht und genoss offensichtlich seine Rolle als König.
Da warf Inanna den Blick des Todes auf ihn und befahl den Dämonen, ihn mit sich zu nehmen. Doch schon bald bemerkt die Göttin, dass sie ohne ihren Gatten die Welt nicht mehr befruchten konnte, die Ernten blieben aus, die Frauen gebärten nicht mehr, die Flüsse trockneten aus. Es wurde ein Kompromiss gefunden: Jeweils für ein halbes Jahr sollte Dumuzi durch seine Schwester Geshtinanna in der Unterwelt abgelöst werden, damit die Welt neu erblühen konnte.
Inanna reist also als Göttin über Leben und Tod, als Gebieterin der Ewigen Zyklen zwischen Ober- und Unterwelt. Speziell in dieser ist sie Gebieterin des Ortes der Verwandlung, aus dem sich das neue Leben entwickelt. Einer der offensichtlichsten Deutungen ist jene vom Wechsel der Jahreszeiten. Dumuzi verkörpert dabei die Vegetation, die im ständigen Wechsel des Vergehens (Herbst) und der Wiedergeburt (Frühling) von ihm bzw. seiner Schwester mythologisch repräsentiert wird.
Unerbittlicher Initiationsritus für die Lichtgestalt
Darüber hinaus erlebt gerade die Lichtgestalt und Himmelsgöttin einen unerbittlichen Initiationsritus. An Inanna wird auf großartige Weise der Weg zur Heilung, Integration und zum Wachstum der weiblichen Seele vollzogen.
Immer, wenn Frauen ähnliches passiert, wenn ihnen ganz und gar der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn sie bis auf das letzte Hemd nackt ausgezogen werden, wenn da nichts mehr ist, das ihnen Halt gibt, wird dieses Inanna-Ereshkigal Drama wiederholt. Sie werden mit den tiefgründigsten, schrecklichsten Anteilen ihrer Seele konfrontiert. Oft ist hier auch tatsächlich eine reale Frau (Mutter, Tochter, Schwester, Chefin, Kollegin) daran beteiligt.
Wenn Frauen in diesem herausfordernden „Monster“ die Energie von Ereshkigal sehen und damit die große Chance, aus einem harten Initiationsprozess geläutert hervor zu gehen, dann wird vieles – wenn nicht unbedingt leichter – aber dennoch klarer.
Das Hinabsteigen in das eigene tiefste Innere
Es geht um das Hinabsteigen in das eigene tiefste Innere, in die eigenen Abgründe, um die Aufgabe jeglichen Scheins (im Mythos symbolisiert durch das Ablegen der Kleider, des Schmucks und der Insignien) und zuletzt um die Aufgabe der eigenen Identität, um die Konfrontation mit der völligen Leere und Sinnentleertheit und um ein völlig radikales Loslassen, um neu erschaffen zu werden.
So werden auch tiefgehende schamanische Prozesse geschildert, aus denen SchamanInnen durch und durch neu zusammengesetzt, geläutert, erleuchtet hervorgehen.
Inanna-Mythos als zentrale Lehre des Christentums
Und auch – wie so oft – hat sich das Christentum dieses Themas angenommen, ja zu seiner zentralen Lehre gemacht. Wie schon Jahrtausende vorher bei der ägyptischen Inanna musste auch hier eine Lichtgestalt, in diesem Fall Jesus, den Initationsritus, den Gang in die Unterwelt, in das tiefste Innere durchmachen.
Jesus verlangt – und praktizierte, soweit dies überliefert ist – das Loslassen der eigenen Wünsche und Vorstellungen. Doch in seiner letzten Stunde bat er um Aufschub. Es musste so weit kommen, dass sein Prozess der Hingabe so radikal fortgeschritten war, dass er sagen konnte: Dein Wille geschehe! Er musste ans Kreuz geschlagen werden, um die letzte Hürde des Loslassens zu nehmen und damit zu zeigen, was Hingabe bedeutet.
Genauso wie Inanna 3.000 Jahre zuvor ist Jesus nach drei Tagen wiedergeboren in das Leben zurück gekehrt.
Populär im gesamten antiken Orient
Die sumerische Inanna herrschte in Babylon als Ischtar und in Assyrien als Astarte, schließlich im ägäischen Raum auch als Aphrodite, die ja nicht griechischen Ursprungs ist. Sie wird auch mit der der ugaritischen Attart, der hebräischen Aschera, der moabitischen Ashtar und der hethitischen Inara oder Hannahanna verglichen.
Im Christentum soll ihre Entsprechung Anna sein, die Mutter von Maria. Ihre Popularität war so im gesamten antiken Orient groß. Selbst der biblische König Salomo soll Inanna verehrt haben und ließ ihr im Osten Jerusalems eine Kultstätte bauen.
Große Göttin in einer ihrer umfangreichsten Ausprägungen
In Inanna finden Frauen die Große Göttin in einer ihrer umfangreichsten Ausprägungen. In ihrem Namen werden Heilige Hochzeiten vollzogen, wird Fruchtbarkeit und sinnliche Leidenschaft gelebt, sie hat die Macht, die Mächtigen zu erheben oder zu stürzen, sie ist versteht die erfolgreiche Business- und Staatsfrau ebenso wie die Frau, die völlig nackt und ungeschützt ihrem eigenen schrecklichsten Dämon begegnet.
Gerade in diesem Aspekt gibt sie Frauen die Kraft, ihre bisherige Identität, ihre bisherige Seinsweise, alle Glaubenssätze in Frage zu stellen, all jenen, die auf ihre Kosten gelebt haben und mächtig geworden sind, den Laufpass zu geben, all die unerfreulichen, abstoßenden Anteile zu integrieren und sich damit selbst neu zu erschaffen. Damit ist sie die Göttin für die Selbstbestimmung von Frauen.
Vor allem aber trauert Inanna in der Unterwelt um alle jene Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume, die sie ignoriert, vergessen oder verleugnet hat. All dies ist durch die Figur ihrer Schwester oder ihrem anderen Wesensanteil, der darüber außerordentlich wütenden und zornigen Ereshkigal symbolisiert.
Inanna unterstützt Frauen dabei zu erkennen, wo sie sich von ihrem wahren Wesen, von ihrer hellen, lustvollen und selbstbestimmten Persönlichkeit entfernt haben. Sie unterstützt und geleitet Frauen beim Abstieg in die Unterwelt dieser oft sehr schmerzhaften Erkenntnis.
Sie gibt die Gewissheit, dass jedem noch so tiefen Fall eine neue Phase, ein Aufstieg folgt – wahrscheinlich allerdings als eine andere, als die die vorher war: Freier, selbstbestimmter, lustvoller, machtvoller und voll der Lebenskraft.
Sie fordert Frauen auf, gut für sich selbst zu sorgen, mit ihren Begierden Freundschaft zu schließen, all jene Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die das Vorankommen hindern und vor allem ihre Lust als göttliches Prinzip uneingeschränkt zu leben.
auch: Innana, Innin, Innini, Ninsianna, Ninanna, Nin-kur-ra-igi-ga (in ihrem kriegerischen Aspekt)