Maria gilt als Verschmelzung älterer Göttinnen aus verschiedenen Kulturkreisen, da es eine allgemein gültige mythische Tradition gibt: Ein Volk gibt seinen Glauben an die eigenen Göttinnen nie auf. Daher verbirgt die christliche Maria unglaublich viele der alten Göttinnen, die rund um den Erdball in unterschiedlichsten Epochen verehrt wurden, quasi „unter ihrem Rock“. In der Figur der Madonna werden sie allesamt ungebrochen weiter verehrt.
Die biblische Göttin
Kurz zur Erinnerung die überlieferte Geschichte der Maria, Mutter Gottes: Sie war die Tochter der Anna und des Joachims. Dies steht zwar nicht in der Bibel, ist aber durch viele Mythen und dem sogenannten Protevangelium des Jakobus festgehalten, das allerdings nicht in die Evangelien eingegangen ist. Das Paar war 20 Jahre lang kinderlos bis es – einem Wunder gleich – eine Tochter bekam. Und das, nachdem es ein Engel verkündigt hatte und vor allem durch eine „unbefleckte Geburt”. Was nicht mit der „Jungferngeburt” zu verwechseln ist, mit der sie später ihrem Sohn Jesus das Leben schenkte. Gemeint ist damit, dass sie schon im allerersten Augenblick ihres Lebens bei ihrer Zeugung durch göttliche Gnade von der Erbsünde befreit worden ist und fortan ohne jegliche Befleckung leben konnte – Grundvoraussetzung dafür, dass sie die „Muttergottes” werden konnte. Mehr zu diesem kirchlichen Dogma und den Auseinandersetzung um dieses ist ausführlich bei Anna beschrieben.
Als Maria nun herangewachsen war, hatte sie einen Verlobten, den Zimmermann Joseph. Der Engel Gabriel verkündet die Geburt Jesu, dessen Vater Gott Kyrios sein würde. Auch dem geprellten Bräutigam Joseph erscheint Gabriel, der dadurch seine Enttäuschung überwindet (Matthäus 1,18-24) und fortan mit ihr in ungeschlechtlicher „Josephsehe” zusammenlebt. Allerdings werden auch Geschwister Jesu erwähnt (Markus 3,31ff.). Auf dem Weg nach Jerusalem, wohin Maria und Joseph sich anlässlich einer Volkszählung einzufinden hatten, kam Maria nach der Weihnachtslegende in Bethlehem in einem Stall mit dem Jesuskind nieder, wo die Weisen aus dem Morgenland das Kind anbeteten und beschenkten (Mt 2,1-13). Später emigrierte die Heilige Familie für einige Zeit nach Ägypten, um dem Kindermord des Herodes zu entgehen, und kehrte nach dessen Ende nach Nazareth zurück (Mt 2,13-15). Weitere Erwähnung findet Maria noch bei der Hochzeit zu Kana sowie bei der Kreuzigung Jesu, ein letztes Mal wird von Maria anlässlich Jesu Himmelfahrt berichtet.
Unzählige alte Göttinnen „unter ihrem Rock”
Viele Symbole und Attribute der Maria, wie wir sie auf allen Darstellungen in den Kirchen finden – Mondsichel, Schlangen, Drachen, Sternenkranz und Sternenmantel, ein Kindlein am Arm, blaues Gewand, Spindel, Nuss, Apfel – deuten auf unterschiedliche alte Göttinnen.
So erinnert Maria an die viel ältere ägyptische Göttin Isis mit dem Knaben Horus. Die Entwicklung des Madonnenkultes stützte sich in weiten Zügen auf die Form der Isis-Verehrung. Maria ist die römische Juno, deren dreilappige Lilie als Symbol der parthenogenetischen Kraft gilt und für die christliche Jungfrau Maria übernommen wurde. Maria hat Wurzeln in der sternenumkränzten syrische Astarte, bei deren Fest am 25. Dezember die Wiedergeburt des Sonnengottes durch die Himmelskönigin gefeiert wurde. Mit der griechischen Hekate hat Maria die Darstellungen mit einem Frosch gemeinsam. Maria übernahm den Tempel der vielbrüstigen Artemis von Ephesos und jenen der Isis in Philae. In Maria vereinen sich die keltische Brigid, die germanische Freya, die babylonische Ischtar, die baltische Himmels- und Sonnengöttin Saule, die gallische Rigani, die skandinavische Man, die hurritische Hebat, die griechische Kybele, die zypriotische Aphrodite. Die alten Candomblé-Göttinnen Oshun und Yemaja werden nach den missioniarischen Bemühungen der Christen mit der Jungfrau Maria gleichgesetzt. Diese Aufzählung alter Göttinnen, die schon lange vor Maria verehrt wurden, ist beliebig fortsetzbar.
Wie der Name schon verrät, war Maria das Große Gewässer („mare“), das Heilige Meer, der Heilige See, aus ihrem „Fruchtwasser“ ging alles Leben hervor – eine Göttin des Meeres und aller Leben spendenden Gewässer, die seit ältesten Zeiten u.a. auch unter den Namen Aphrodite–Mari, Stella Maris, Maya, Mariam, Marah verehrt wurde.
Kein Glaube ohne weiblichen Aspekt
Im ursprünglich rein patriarchal strukturierte Christentum erkannte man recht bald, dass sich die Menschen ohne einen weiblichen Aspekt in ihrem Glauben schwer tun werden, was die Attraktivität dieser neuen Religion sehr gemindert hätte. So wurde die Gestalt der Maria quasi als PR-Maßnahme erfunden bzw. wiederentdeckt, wobei die religiöse Bedeutung Marias in den einzelnen Konfessionen unterschiedlich ist.
Die Marienverehrung in der katholischen Kirche hat ihre Wurzeln zu Beginn des 5. Jahrhunderts. Bevor das Christentum im 4. Jahrhundert politisch instrumentalisiert wurde und zur Staatsreligion geriet, war Maria – entsprechend der Rolle der Frau im Römischen Reich – kaum Gegenstand besonderer Verehrung. Erst als es galt, die Untertanen der Kaiser „auf Teufel komm raus” christlich zu machen, denen ja nun alle anderen Kulte bei Todesstrafe verboten waren, wurde es notwendig, sich in gewisser Weise auch den religiösen Vorstellungen jener anzupassen, die nach wie vor an dominanten weiblichen Gottheiten orientiert waren und von ihren Muttergöttinnen (Kybele, Isis, Artemis usw.) nicht lassen wollten. Hier musste für passenden „Ersatz” gesorgt werden, der den „Heiden” halbwegs vertraut und mit dem Christentum einigermaßen kompatibel war.
Gottesgebärerin oder Christusgebärerin?
Für diesen „Spagat” hatte schließlich – vom Osten des Reiches ausgehend – die legendäre Mutter Jesu, Mirjam oder Maria, herzuhalten. Wesentlich erschwert wurde die Sache durch die heftigen Rivalitäts- und Machtkämpfe der höchsten Kirchenfürsten um die wahre Auslegung der Heiligen Schrift, in denen besonders die Patriarchen von Konstantinopel und Alexandria, Antiochia und Rom aneinander gerieten.
Große Kontroversen gab es, ob Maria als Gottesmutter bzw. Gottesgebärerin oder nur als Christusgebärerin angesehen werden konnte. Vor allem Bischof Nestorius lehrte, Maria habe nur den Menschen Jesus geboren und nicht Gottes Sohn.
Damit nahm er die gegenteilige Position von Cyrill, dem Patriarchen von Alexandrien ein. Die Übersetzung den verhältnismäßig neutralen griechischen Begriffes „theotókos“ als „Gottesmutter“ galt deshalb als unpassend, weil damit Maria eindeutig in die Nähe heidnischer Göttinnen rückt, was die Formulierung „Gebärerin“ ausdrücklich vermeiden wollte. Die Widersacher gerieten so heftig aneinander, dass sie sich nicht nur gegenseitig „exkommunizierten”, sondern in ihrem Streit die ideologische Basis des spätantiken Römischen Reiches und damit die Einheit des Staates gefährdeten.
431 n.u.Z. fand schließlich zur Beilegung dieser Frage das von Kaiser Theodosius II. einberufene Konzil von Ephesos statt, bei dem der Streit vollends eskalierte. Diese Veranstaltung wurde justament im ehemaligen Zentrum des Kultes der kleinasiatischen Großen Muttergöttin Artemis, in Ephesos, der Hauptstadt der Provinz Asia ausgetragen, wo die Christengemeinde schon seit einiger Zeit ganze Arbeit geleistet, das Artemision, den prachtvollen Tempel der Artemis, dem Erdboden gleichgemacht und das Museion, die Hohe Schule der Antiken Großstadt, zur ersten Marien-Kirche der Welt umfunktioniert hatte.
Nach monatelangen Kämpfen von rund 200 Bischöfen in Konzil und Gegenkonzil und dem Einsatz riesiger Bestechungssummen setzte sich die Gottes-Gebärerin-Fraktion Cyrills durch, was zur Abspaltung der Nestorianischen Kirche führte. Das bis heute gültige Dogma verkündete, Maria sei tatsächlich „Theotokos” (=Gottes-Gebärerin) gewesen.
Haben Frauen überhaupt eine Seele?
Das hinderte christliche Würdenträger allerdings nicht daran, Maria immer wieder zu vermenschlichen und herabzusetzen. Sie sei einer Verehrung und Anbetung nicht würdig. All dies ist natürlich kein Wunder in einem Regime in dem ernsthaft überlegt wurde, ob Frauen überhaupt eine Seele haben – eine Frage, die noch Martin Luther im 15. Jahrhundert beschäftigte. So ordnete z.B. Epiphanius, Bischof von Konstantia (Salamis) auf Zypern an: „Lasst den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist anbeten, aber lasst niemand Maria anbeten.“
Natürlich hat auch er „vergessen“, dass es sich beim Heiligen Geist auch um eine Muttergöttin, nämlich Sophia handelt.
Papst Anastasius (im Amt von 911-913) sagte: „Lasst niemanden Maria die Mutter Gottes nennen, denn Maria war nur eine Frau, und es ist unmöglich, dass Gott von einer Frau geboren wurde“.
Die Mitglieder einer Sekte, die sich Marianiten nannten, behaupteten, dass Maria die wahre Eigenschaft der Göttlichkeit besäße. Sie wurden deshalb von der Kirche bis ins 5. Jahrhundert hinein als Ketzer verfolgt.
Einige christliche Kirchenväter versuchten, dem Dilemma dadurch zu entkommen, dass sie sogar Marias Mutterschaft angriffen, um zu beweisen, dass sie weder göttlich noch wirklich mütterlich gewesen sei. Sie behaupteten, dass Jesus nicht auf gewöhnlichem Wege geboren worden sei, sondern sich plötzlich vor Maria materialisiert hätte. Allein die Vorstellung, dass ein christlicher Gott irgendwie mit den Genitalien einer Frau in Berührung gekommen sein konnte, und sei es auch nur durch diesen „perversen Akt einer Geburt“ war offenbar unerträglich.
Und Papst Nikolaus III. befahl dem Mönch Jean d’Olive, eigenhändig ein Traktat zu verbrennen, das er als Lobpreisung Marias geschrieben hatte, weil es eine übermäßige Verehrung für sie ausdrückte.
Christliche Patriarchen plagen sich mit dem Marienkult herum
All dies konnte jedoch den „Siegeszug“ der Göttin, Gottesmutter, Gottesgebärerin, Himmelskönigin, Gnadenmutter und Jungfrau Maria nicht aufhalten. Sie war enorm wichtig, um den Menschen den (damals) neuen christlichen Glauben näher zu bringen.
Also mussten sich die christlichen Patriarchen über Jahrhunderte mit dem Marienkult herumplagen, das volkstümliche Bedürfnis, eine Mutterfigur, eine Göttin zu verehren, war so verankert, dass man sich mit Maria irgendwie arrangieren musste, um die Menschen nicht an ihren ursprünglichen alten Göttinnen-Glauben zu verlieren.
Der nicht sehr vertrauensbildene Gott-Vater
Gott-Vater und seine Stellung im Glauben war ja nicht wirklich dazu angetan, vertrauensbildend zu wirken.
Wer will schon einen, der alles sieht und der mit Strafen droht. Eifersüchtig, zürnend und strafend sind halt nicht gerade sympathische Wesenszüge eines Wesens, dem man sich gerne anvertraut.
Im Mittelalter wurde Gottvater, „der Herr“ eher als Verfolger und Maria als Verteidigerin angesehen.
Holzstiche aus dem frühen 16. Jahrhundert zeigen Gott, wie er Pfeile der Pestilenz, des Krieges und des wirtschaftlichen Niedergangs auf die Welt schießt und Maria ihn dabei zurückhält. Gelegentlich wird Maria auch dargestellt, indem sie sich an eine Waage lehnt, um die wenigen guten Taten eines Sünders schwerer als seine Missetaten zu machen und ihn so vor der ewigen Verdammnis zu bewahren, die die ach so barmherzigen Vater-und-Sohn-Götter vorgesehen hätten.
Von Maria glauben die einfachen Menschen seit jeher viel eher als von Christus, dass sie Mitleid und Sanftmut besäße, da dies mit dem weiblichen Element der überlieferten Ur-Göttinnen in Verbindung gebracht wurde.
Heiligenschein ab dem 6. Jahrhundert
Immerhin erhielt Maria bereits im 6. Jahrhundert einen Heiligenschein und eroberte zunehmen auch in den Kirchen eine zentrale Position. Die größte Anzahl der Kirchen und auch oft der größte Raum innerhalb einer Kirche ist ihr und nicht ihrem Sohn und dessen Vater gewidmet. So sind z.B. die gothischen Kathedralen nicht Gott oder Jesus geweiht, sondern der „Notre Dame“. Wer jetzt genau mit dieser Dame gemeint ist, ist ein weiteres interessantes Detail um Maria, der Göttin, die auch als dreifache Göttin gilt (siehe weiter unten).
Was nämlich kaum jemand weiß, ist die Tatsache, dass die großen Notre-Dame-Kathedralen ursprünglich nicht etwa Mutter Maria geweiht waren, sondern der Maria Magdalena, der Gefährtin von Christus. So besitzt die Kathedrale von Chartres das berühmte „Magdalena-Fenster“, das die Salbungsszene von Bethanien zeigt. Auch der Heilige Bernard de Clairvaux der Patron der Tempelritter, hatte seinen Orden im Jahre 1129 ausdrücklich auf Maria Magdalena eingeschworen, die er in einem seiner Werke ganz unverblümt „die Braut Christi“ nannte. Für diese Eingeweihten versinnbildlichte Maria Magdalena das weibliche Prinzip der Weisheit oder Erleuchtung, weshalb sie im mittelalterlichen Frankreich und Flandern sogar im Volksmund „Notre Dame de Lumière“ (Unsere Frau des Lichts) genannt wurde. Das Licht („Lumière“) symbolisierte nämlich die höchste Weisheit, von GnostikerInnen einst als Sophia verehrt. Welchem Aspekt der Maria die vielen Notre-Dame-Kathedralen auch immer gelten, sie sind eindrucksvolle Paläste der Himmelskönigin, an die viele KatholikInnen am liebsten ihre Gebete richten.
Madonna wäre nicht erfreut, über ihren Sohn gestellt zu werden
Bis in die Neuzeit schlägt sich vor allem die katholische Kirche damit herum, einerseits Vorteile aus der Gestalt der Maria zu ziehen, andererseits ihre ausdrückliche Vergöttlichung zu vermeiden, was ja auch die Stellung der Frau innerhalb der Kirche nachhaltig beeinflussen würde. So maßte sich Papst Johannes XXIII an, die innersten Gedanken Marias zu kennen und verkündete, dass die Madonna nicht erfreut wäre, wenn sie über ihren Sohn gestellt würde.
Es gab jedoch auch Strömungen, die Maria in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen:
So nannte der Heilige Ephraim von Syrien (306-373) Maria sogar die Mutter und gleichzeitig Braut oder Gemahlin von Jesus – ganz nach der Art vieler alten Göttinnen, die entweder als Schöpfungsgöttinnen jungfräulich und aus sich selbst oder auf eine andere mystische Weise einen Sohn geboren haben.
Viele von diesen alten Göttinnen hatten selbst oder in einer anderen Gestalt der dreifachen Göttin (z.B. Maria Magdalena) ein Liebesverhältnis mit diesem göttlichen Sohn bzw. erschufen in der Vereinigung mit diesem die Welt. Allen voran Isis mit ihrem Sohn Horus, aber auch Gaia mit ihrem Sohn Uranos, Rigani mit Esus (man beachte die interessante namentliche Parallel zu Marias Sohn Jesus), Hina und ihr Sohn Maui, Ilmatar und Väinämöinen, Aurora und Tithonius, Eurynome und Ophion – um nur einige zu nennen.
Maria als „Tempeldirne”
Im Protoevangelium des Jakobus, das vermutlich Mitte des 2. Jahrhunderts entstanden ist und als erstes und ältestes Evangelium gilt, wird über die Geburt Jesu hinaus berichtet und ausführlich von der Herkunft Marias erzählt. So soll sie als Hierodule („Tempeldirne“ oder wahrscheinlich Priesterin der Großen Göttin) Gottes Samen empfangen haben, während sie im Tempel einen blutroten Faden zu spinnen begann. Dies erinnert an die Moiren oder „Marien“, die griechischen Schicksalsgöttinnen, die den Faden des Schicksals halten, spinnen und abschneiden.
Im entscheidenden Augenblick sei der Engel Gabriel „über Maria“ gekommen (Lukas 1, 28-35), womit in der Bibel eindeutig Geschlechtsverkehr gemeint ist.
Befruchtung durch das Ohr
Diese jungfräuliche Geburt, bzw. viel mehr die Zeugung gibt ja immer Anlass zu vielen Rätseln, es ist das große Mysterium des Christentums. Damit allerdings nicht außergewöhnlich.
Zu vielen alten Religion gehört ja, dass die Gottheiten möglichst außergewöhnlich gezeugt werden bzw. auf die Welt kommen.
Das Christentum tat sich ein wenig mit der Erklärung schwer, wie der göttliche Samen, den es ja zweifelsohne geben musste, in Maria hineingelangt ist.
Daher ist von seltsamen Befruchtungsvarianten die Rede. So soll Gottes Samen im Schnabel der heiligen Taube durch eine heilige Lilie gefiltert oder aus Mund Gottes oder auch des Erzengels Gabriels mit einer Art Blasrohr ins Ohr der Maria appliziert worden sein.
Sehr anschaulich zeigt dies eine Darstellung am Nordportal der Marienkapelle zu Würzburg: In diesem „Tympanon der Verkündigung” sieht man sehr schön, wie ein schon recht weit entwickelter Fötus auf einer Art Schlauch bäuchlings rutscht. Am Ohr der Maria verwandelt sich dieser Schlauch dann zum Heiligen Geist in Taubenform, und das Kindlein landet – schwuppdiwupp – direkt ins Ohr der Muttergöttin.
Die Ansicht einer „Ohrenzeugung” vertrat z.B. Zeno, Bischof von Verona (4. Jhdt.). Das bestätigte auch Papst Benedikt XVI. im letzten Teil seiner „Jesus von Nazareth“-Trilogie, in der er sich zur Jungfrauengeburt äußerte. In der Sprache der Kirchenväter habe Maria „durch ihr Ohr“ empfangen, erklärt Benedikt.
Das macht innerhalb des theologischen Denkens natürlich schon auch Sinn, denn Gott wirkt durch das Wort. Und zur Aufnahme desselben eignet sich ein Ohr besonders gut.
So ist im „Salzburger Missale” in einem Thomas Becket zugeschriebenen Marienlied zu hören: „Gaude virgo, mater christi, quae per aurem concepisti” (Freue dich Jungfrau, Mutter Christi, die du mit dem Ohr empfangen hast).
Auf Bildnissen wird Maria oft mit einer Rechtsneigung ihres Kopfes dargestellt, was als markantes Element gedeutet wird, dass sie dem Heiligen Geist ihr Ohr zum Zwecke der Befruchtung hinhält.
Und dass der Heilige Geist den göttlichen Samen durch eine Lilie gefiltert in das Ohr von Maria appliziert hat, ist rein theologisch auch nichts Neues. Schon die alte sabinisch-etruskische und römische Muttergöttin Juno soll mit ihrer „heiligen Lilie“ den Gott Mars empfangen haben. Diese dreilappige Lilie – das universelle Yoni-Zeichen – gilt daher als Symbol der parthenogenetischen Kraft und dieses Mysterium wurde offenbar für die christliche Jungfrau Maria übernommen.
Das Mysterium der Geburt
Soviel zur Zeugung. Auch um die Niederkunft der Maria ranken sich natürlich viele fromme Mythen, die zumindest historisch nicht haltbar sind. Die von Lukas berichtete große Volkszählung, die Maria und Joseph durch Betlehem führte, ist außer bei Lukas nirgendwo erwähnt. Dieses Großereignis hätte in der durchaus vollständigen römischen Geschichtsschreibung, die uns sehr viel unwichtigere Details überliefert, wohl seinen Niederschlag gefunden. Volkszählung heißt ja auch, dass man die Leute dort zählt, wo sie wohnen und nicht irgendwo anders.
Und wenn es eine solche Volkszählung tatsächlich gegeben hätte: Wäre diese mitten im Winter angeordnet worden? Sicherlich nicht. Auch in der Nähe von Jerusalem können im Winter die Temperaturen unter den Gefrierpunkt fallen. Die Menschen hätten also auf matschigen Straßen bei kaltem, stürmischen und regnerischen Wetter von weit her nach Jerusalem wandern müssen.
Kein vernünftiger römischer Beamter hätte also eine Volkszählung für den Winter anberaumt. Für eine Agrargesellschaft, wie die von Judäa vor 2000 Jahren, wäre eine Volkszählung im Herbst, als die Ernte sicher eingeholt worden war, sehr viel sinnvoller gewesen.
Jedoch ist ja auch der Geburtszeitpunkt genau zur Wintersonnenwende willkürlich gewählt.
Vers 8 des Lukasevangeliums sagt uns: „Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde.“
Aufzeichnungen zufolge weideten Hirten ihre Herden auf dem offenen Feld von April bis Oktober. Ende Dezember ist es selbst in dieser Gegend für Mensch und Tier in der Nacht auf dem Felde zu kalt und die Tiere befinden sich in ihren Unterkünften. Die Wintersonnenwende galt schon in den alten Religionen als die Geburt des neuen Lichts und damit der Hoffnung für die Welt. Dementsprechend wurde dies gefeiert und gewürdigt. Daher musste die Geburt des neuen Heilands auf diesen Termin angesetzt werden, um die Menschen von ihren alten Ritualen hin auf den neuen Glauben zu führen und ihnen ein entsprechend würdiges Ereignis liefern, das eine große Feier rechtfertigt.
Warum war es aber so wichtig, dass Marias Sohn in Betlehem geboren wird? Im 8. Jahrhundert vor Christus sagte der Prophet Micha die Geburt des Messias voraus (Micha 5,2). Der neue Herrscher würde in Bethlehem geboren werden. Also entweder begab sich Maria bewusst an diesen prophezeiten Geburtsort. Oder aber sind Aufenthalt und Geburt in Bethlehem nachträglich konstruiert worden, um die alte Prophezeiung erfüllen zu können und außerdem eine Beziehung zum (ebenfalls) in Bethlehem geborenen König David herzustellen. Im übrigen ist in den Evangelien von Markus und Johannes von Nazareth als Geburtsort die Rede.
Und auch was den Stern und die Heiligen Drei Könige angeht, bewegen wir uns in dubiosen Gefilden: Astronomisch ist es bis heute nicht gelungen, in den Jahren um Christi Geburt irgendein Himmelsphänomen auszumachen, das ohne Fernglas sichtbar gewesen sein könnte. In der Bibel steht auch an keiner Stelle etwas von den Heiligen Drei Königen – weder heilig, noch drei, noch König. Schon gar nicht sind die drei Herren namentlich erwähnt. Es ist lediglich die Rede davon, dass „Sterndeuter (Magier) aus dem Osten” gekommen seien (Mt 2, 1-12).
Das K + M + B könnte aber durchaus auf die drei Bethen, alte Muttergöttinnen zurückzuführen sein, die nach einer Geburt sicher hilfreicher der jungen Mutter in Beth-lehem (!) zur Seite gestanden hätten, als drei Könige, die mit Weihrauch, Gold und Myrrhe in der Gegend herumstehen. (Mehr zu den spannenden Spuren und Indizien, die von den Bethen über die „Heiligen Drei Madln” hin zu den Heiligen Drei Königen führen können bei Bethen nachgelesen werden).
Mächtige mütterliche Maria
Interessant bei der vielschichtigen Geschichte der Maria ist, dass sie immer das ambivalente Verhältnis der Männer Frauen gegenüber widerspiegelt. Bei Frauen weiß „Mann“ ja nie so recht woran er ist. Daher gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, mit ihnen umzugehen und sie sich vom Leibe zu halten: Entweder man macht sie klein und verunglimpft sie oder sie werden idealisiert und in den Himmel gehoben.
Auch dieses Bestehen auf die ewige Jungfräulichlichkeit, obwohl in der Bibel eindeutig von Brüdern und Schwestern Jesu die Rede ist, sollte offenbar dazu beitragen, Maria möglichst klein und mädchenhaft und ja nicht mütterlich erscheinen zu lassen. Maria in ihrem mütterlichen Aspekt wäre zu mächtig und käme auch den alten Muttergöttinnen zu nahe. Allerdings wurde dabei nicht bedacht, dass die klassischen „jungfräulichen Göttinnen“ wie Artemis, Atargatis, Athena, Al-Uzza oder Hestia immer in höchstem Maße selbstbestimmt waren und nicht an Männer gebunden sind.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die zahlreichen Pietàs, bei denen Maria als Mater Dolorosa, der Leidens- oder Schmerzensmutter mit dem Leichnam des vom Kreuz abgenommenen Jesus Christus dargestellt wird. Sie wirkt hier immer ganz und gar nicht wie die Mutter eines 33-jährigen Mannes sondern wie eine höchstens 20-jährige. Aber möglicherweise ist hier ja auch gar nicht Maria, die Mutter Jesu dargestellt. Denn vermutlich ist Maria auch eine dreifache Göttin. Die „drei Marien“, die bei der Kreuzigung Jesus anwesend waren, lassen darauf schließen.
Historisch überliefert waren das wahrscheinlich Maria Magdalena, Maria, die Mutter von Jesus und Maria, die Mutter des Jakobus bzw. Maria, die Frau des Salomas.
Vater-Mutter-Kind-Konstellation
Östliche Kirchen haben sogar einige Jahrhunderte die alte Vater-Mutter-Kind-Konstellation gelten lassen und damit auf alte Göttinnen- und Götter-Mythen verwiesen (Osiris-Isis-Horus, Zeus-Rheia-Zagreus, Apollo-Artemis-Herakles).
Maria beinhaltet also alles, was das weibliche Prinzip der Gläubigkeit ausdrückt. Sie erscheint sozusagen als Wiedergeburt aller „Großen Göttinnen“.
Zu der viel glaubhafteren Barmherzigkeit der Gottesmutter kam auch hinzu, dass die Menschen eine Figur brauchten, die für Fruchtbarkeit zuständig war (und wer könnte das besser sein, als eine, die auf unerklärliche Weise ein Kind bekommt), für die man Kuchen backen konnte, die man auf Umzügen und Prozessionen lieblich schmücken und vor allem der Frauen ihre intimsten Wünsche, die kein Mann (nicht einmal ein Gott) hören darf, anvertrauen können.
Sichtbarer Hintergrund der alten Göttinnen
Und natürlich wurden in der sakralen Infrastruktur unzählige Kultstätten und Wallfahrtsziele sowie viele Rituale und Zeremonien zu Ehren der alten Göttinnen von Maria besetzt. Nicht von ihr persönlich natürlich, den es ist anzunehmen, dass sie so schwesterlich war und nicht einer ihrer Vorfahrinnen etwas weggenommen hätte, sondern von jenen, die sie für ihre PR-Maschinerie missbrauchten.
Bei näherem Hinsehen wird allüberall – von der Groß-Wallfahrt Mariazell bis zum kleinsten Frauen-Bründl, vom Großen (15. Aug.) und Kleinen Frauen-Tag (8. Sept.) vom Frautragen bis zur Maiandacht – der Hintergrund der alten Göttinnen sichtbar.
So wurde aus dem keltischen Imbolc zu Ehren der Göttin Brigid das Fest Maria Lichtmess.
Auf Walpurgis, dem Fruchtbarkeitsfest zur Ehren der keltisch und germanischen Maienkönigin in der Nacht zum 1. Mai, setzten sich zuerst die Katholiken mit allerlei Marienbrauchtümer und schließlich auch noch die Kommunisten und Sozialisten.
Die meisten Mysterienkulte feierten die Geburt des göttlichen Kindes zur Wintersonnenwende, in der das Licht von der Großen Göttin neu geboren wurde.
Bräuche wie Weihnachtsbäume, Geschenke, Kerzen, Mistelzweige, Stechpalmensträucher, Lieder, Feiern und Prozessionen sind allesamt „heidnisch” und stammen aus der Verehrung der Göttin als Mutter des Göttlichen Kindes. So entwickelten sich z.B. die Weihnachtsbäume aus den „pinea silva”, Pinienhainen, die bei den Tempeln der Göttin lagen.
Kirchen auf alten Kultstätten
Viele Kirchen in ganz Europa und auch in anderen Kulturkreisen wurden ganz bewusst auf Kultstätten der alten Göttinnen errichtet. So kann man in Italien fast davon ausgehen, dass jeder Platz einer alte Kirche früher ein Heiligtum der Juno, Isis, Minerva, Diana oder Hekate war.
Die einzige gotische Kirche Roms, die Basilika „Santa Maria sopra Minerva“ wurde über der Ruine eines früheren römischen Minerva-Tempels errichtet. Hier war man zumindest ehrlich genug und hat die alte, zugrunde liegende Göttin auch erwähnt.
In Philae wurde im 6. Jahrhundert der große Isis-Tempel der Maria geweiht.
Auf Zypern wurden die Heiligtümer der Aphrodite zu Marien-Wallfahrtsorten. Die ZypriotInnen wenden sich an Maria im Übrigen weiterhin ungeniert unter den Namen Aphrodite. Frauen sind ja flexibel und die große Göttin hört wahrscheinlich auf jeden Namen, wenn sie um etwas gebeten wird, wenn sich Menschen mit einem dringenden Anliegen an sie wenden.
Hilfreiche Personalunion der alten Ahninnen unter dem Sternenmantel
Ist Maria nun als Göttin zu werten oder ist sie nur eine Konstruktion christlicher Kirchenväter? Gleichgültig!
Sie breitet ihren Sternenmantel aus und beherbergt (um nicht zu sagen – versteckt) viele ihrer alten Ahninnen darunter.
Sehr ähnlich verhält es sich im übrigen auch mit ihrer islamisch-arabischen „Schwester-Göttin” Fatima, die als arabische Mond- und Schöpfungsgöttin vom Islam vereinnahmt wurde und mit ihrer mütterlichen Göttinnen-Kraft lebendig ist wie eh und je. Maria und Fatima halten sozusagen die Stellung.
Und dabei ist es eigentlich einerlei, ob es sich nun um die biblische Maria der Kirche, die islamische Fatima oder um die Göttin des Volkes und vor allem der Frauen handelt, die sehr individuell mit den jeweiligen Göttinnen der Region in Verbindung stehen.
Wie oft wurde schon das „Maria hilf“ ausgerufen. Und Marienkraft wirkt nachweislich Wunder, wie könnte es auch anders sein, wenn die vereinigten Großen Göttinnen durch sie wirken.
Warum also nicht mit ihr, dem jungfräulichen Mädchen, der Muttergöttin, der Himmelskönigin in Verbindung treten?
Und nichts geht einfacher als das: Hat sie doch überall Altäre, an denen man – ganz ohne komisch angeschaut zu werden – innehalten und ein persönliches Ritual mit der großen Muttergöttin machen kann. Maria hilft!
auch: Mirjam, Mariken, Mariam, Maruschka, Madonna, Heilige Jungfrau, Muttergottes
6 Gedanken zu „Maria – Christliche Himmelsmutter, allumfassende Muttergöttin“